7 strategische Herausforderungen
nach der Bundestagswahl

Nach der Bundestagswahl gilt es die Ergebnisse sowohl in ihrer erfolgreichen als negativen Dimension präzise in den Blick zu nehmen, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Nachfolgende Gedanken und Impulse können vielleicht die ein oder andere Strategiedebatte befruchten und für Inspiration sorgen. Für alle die an einer konstruktiven politischen Optimierung der AfD interessiert sind.

Mit dem Wahlergebnis von 10,3% sind die Minimalziele, nämlich die Zweistelligkeit und das Halten der eigenen Stammwählerschaft, für die AfD erreicht worden. Zufriedenstellend ist das Ergebnis jedoch nicht. Der stetige Wachstumstrend der Partei scheint vorerst gestoppt. Ihr Wählerpotential stagniert im Bundestrend bei ca. 15%. Im nächsten Jahr stehen in vier westdeutschen Bundesländern die Landtagswahlen an. Überraschungen werden hier aktuell nicht erwartet, wohl aber Achtungserfolge und mindestens eine weitere Konsolidierung.

Stabilisierung bedeutet jedoch nicht, die eigene Lage als festgefahrenes Schicksal betrachten zu müssen. Vielmehr müssen jetzt die richtigen Schlüsse aus dem Wahlergebnis geschlossen und die strategische Vision einer AfD in 10 Jahren geschmiedet werden. Das heißt die gegenwärtige Lage ohne Wunschvorstellungen zu analysieren und die kommende Lage richtig zu antizipieren. Wir geben nachfolgend einige Impulse und Thesen, die möglicherweise für einige parteiinterne Debatten auch inspirierend und befruchtend sein können.

1. Regionale Schwerpunkte in Ausrichtung,
Strategie, Kampagne und Aufstellung berücksichtigen.

Der Westen kann vom Osten nicht lernen, aber profitieren!

Die Bundestagswahl hat nochmals die sehr deutliche Ost-West-Dichotomie der AfD unterstrichen.Im Osten der Republik ist die Partei im Gesamtergebnis zweitstärkste Kraft und konnte in Sachsen und Thüringen sogar zahlreiche Direktmandate gewinnen. In Westdeutschland kommt kein Bundesland mehr über 10% der Zweitstimmen. Anstatt die Stärke des Ostens jedoch als strategischen Baustein in eine politische Langzeitperspektive für die Gesamtpartei zu integrieren, entspringt ausgerechnet hieran die große Konfliktlinie in der Partei. Der Erfolg des Ostens sei ein politischer Raubbau an den Wahlergebnissen des Westens und das, was Höcke und Co. in Thüringen gewinnen, würden NRW, Niedersachsen und Bayern verlieren, sodass durch diese Verluste in den bevölkerungsreichen Bundesländern das prozentuale Gesamtergebnis stets im einstelligen Bereich stagnieren würde.

Gewiss kann man es sich nicht so einfach machen und Habitus, Kommunikation und Botschaften der Ostverbände einfach 1:1 in den Westen transferieren. Doch der Osten ist eine gesicherte Vorpostenstellung, dem durch seine Stärke in den Landtagen auch mittelfristig viel breitere taktische Spielräume zukommen dürften, bis hin zu Regierungsbildungen, kommunalen Verankerungen und lokalen politischen Communitys. Der Osten mag demoskopisch in absoluten Zahlen weniger Bedeutung haben. Allein in Nordrhein-Westfalen leben mehr Wahlberechtigte als in allen anderen neuen Bundesländern zusammen. Doch zugleich sollte berücksichtigt werden, dass, falls die AfD in Sachsen stärkste Kraft werden und dieses Ergebnis auch bis zu den Landtagswahlen 2024 halten würde, würde das politische Erdbeben für die gesamte Republik wesentlich stärker sein als ein Achtungserfolg von bspw. 10-12% in Nordrhein- Westfalen.

Im Osten werden innerhalb der nächsten Jahre die ersten AfD-Bürgermeister, Landräte und dominierenden Kommunalfraktionen kommen. Hier eröffnen sich reale politische Gestaltungsräume, die es anzuerkennen gilt und die auch bisherige Barrieren gegenüber der AfD aufbrechen könnten. Für manchen innerparteilichen Gegner der Ostverbände mag dies paradox klingen; aber realpolitische Professionalisierung, ernsthafte Optionen von Regierungsbeteiligungen, politische Dominanz in der Fläche und die Ausbildung von regionalen Graswurzelbewegungen sind auf unbestimmte Zeit nur im Osten möglich. Dies könnte auch ein struktureller Ausstrahlungseffekt auf den Westen sein. Es geht nicht darum, die Westverbände zu belehren. Diese paternalistische Haltung à la „vom Osten lernen“ sollten sich so langsam auch viele Vertreter der Ost-Landesverbände abgewöhnen. Aber der Westen kann vom Osten mit seinen spezifischen politischen Bedingungen durchaus profitieren und erste Gehversuche einer wirklich gestaltenden AfD starten, vielleicht mit wichtigen Synergien für die Gesamtpartei.

Fazit:

  • Wenn es auch nicht gleich eine Quote sein muss, sollten die Ost-Vertreter im kommenden Bundesvorstand dennoch eine angemessene quantitative Vertretung bekommen.
  • Es sind noch vier Jahre bis zu den entscheidenden Landtagswahlen im Osten. Aber schon jetzt sollte die Partei eine Task Force für Kommunikation, Kampagnenarbeit Zielgruppenforschung und den Aufbau fachpolitischer Arbeitsgruppen einrichten, die die wachsenden Wahlerfolge in gefestigte Strukturen transformieren und Funktionäre auf politische Gestaltungsaufgaben vorbereiten.
SWOT Analyse AfD im Osten

2. Lagerintegration und Konfliktmoderation

Streit ist nicht vermeidbar, aber er kann kultiviert werden.

Wir wollen hier keine Floskeln von „Einigkeit“ und „Zusammenhalt“ abspulen, um die banalste aller Lösungen eines derzeit existenziellen Problems innerhalb der AfD zu präsentieren. Doch die AfD steht wieder einmal vor einer Richtungsentscheidung. Und wieder einmal erleben wir ein völlig miserables Konfliktmanagement, da die unversöhnlichen Lagerkämpfe bis in den Bundesvorstand selbst reichen. Man gewann in den letzten Monaten den Eindruck, dass dieser Bundesvorstand nur noch vom Ethos einer gewissen professionellen Zusammenarbeit zusammengehalten wird, um die wichtigsten administrativen Aufgaben der Parteiverwaltung zu stemmen. Größere politische Visionen und strategische Wegweisungen waren in der Vergangenheit nur selten zu vernehmen. Inzwischen ist lagerübergreifend ein toxisches Klima unter Funktionären bis hin zu Mitgliedern entstanden, die kaum mehr eine eingehegte Streitkultur zulassen.

Man muss innerparteilichen Streit und Konflikte nicht nur um der demonstrativen Einigkeit willen ausschließen und unterdrücken. Was es vielmehr braucht sind Plattformen und Diskussionsforen, die diese Konflikte auf ihren inhaltlichen und sachlichen Kern zurückführen. Ein vorbildliches Format bietet die Gegenuni mit ihrer monatlichen Sendung „Standpunkte“, wo sich in den ersten beiden Folgen jeweils zwei AfD-Politiker mit unterschiedlichen Positionen einem kultivierten Streitgespräch stellten und dabei auch Missverständnisse, Barrieren und Vorurteile abgebaut werden können. Solche Diskursräume muss die Partei selbst aufbauen oder die bestehenden nutzen. Es braucht jetzt Strategiekonferenzen, Live-Debatten und Gesprächsrunden, die durchaus auch transparenten Charakter haben dürfen, um ein Signal der lebendigen Diskussionskultur an die Mitglieder auszugeben.

Ideologische Lagerkämpfe über wirtschaftspolitische Ausrichtungen, aber auch strategische Visionen und Wege müssen sich endlich von polemisierenden Zuschreibungen wie „Sozialismus vs. Kapitalismus“ oder „CDU 2.0 vs. NPD 2.0“ lösen und in flexible, offene und sich gegenseitig anerkennende Diskursräume überführt werden. Was spricht denn gegen wirtschafts- und sozialpolitische Kongresse, bei denen in mehreren Panels und Debatten Experten und Lagervertreter aus Partei und politischem Vorfeld über ein Wochenende hinweg ihre Ideen und Visionen skizzieren und Akzente setzen? Was wäre gegen eine bundesweite Strategiekonferenz einzuwenden, bei der man bspw. strategische Planspiele als Oppositionskraft oder auch mögliche Szenarien von Regierungsbeteiligungen diskutiert? Wer im Mainstream eine freiere Debattenkultur und die Verschiebung des Sagbaren einfordert, muss dies auch innerhalb der eigenen Partei vorleben, ohne dabei jedoch jedem Egomanen und politischen Narren Raum zu geben.

Fazit:

  • Schaffung von offenen Diskurs- und Debattenplattformen, über die Grundsatzfragen der Parteiausrichtung in kultivierter Atmosphäre erörtert werden. Förderung und Aufbau dieser Plattformen auch im vorpolitischen Lager.
  • ein Konfliktmanagement, welches eine lebendige Debattenkultur zulässt und fördert, aber auch als Vermittler auftritt und die Debatten politisch konstruktiv moderiert.

3. Zielgruppenverständnis- und Sensibilität

Weg von Anekdoten und Erfahrungsberichten – Hin zu demoskopischer Forschung, Fokusgruppen und Web-Analytics.

Die durchwachsenen Wahlergebnisse bei den Landtagswahlen und der Bundestagswahl könnten möglicherweise auch Ausdruck eines mangelnden Zielgruppenverständnisses und den darüberhinausgehenden AfD- Zustimmungspotentialen gewesen sein. Über Monate hinweg war man sich sicher, dass die Themen Corona-Einschränkungen und die Impfung als Katalysatoren der eigenen Kampagne dienen werden. Ein Blick auf die demoskopischen Daten hätte jedoch Aufschluss über tatsächliche Wachstumspotentiale beim Thema Corona und Impfung gegeben. Wir haben dies in folgendem Artikel zusammengefasst. Die Ablehnung des Lockdowns und einer Impfpflicht war zwar unter AfD-Anhängern stets am größten; in der demoskopischen Gesamtheit war das Potential einer fundamentalen Corona-Opposition jedoch weitgehend über die AfD ausgeschöpft.

Die Diskrepanz zwischen eigenem Erwartungshorizont und den emotionalen und sozioökonomischen Welten der Zielgruppe ist noch zu hoch. Wahlkämpfer verlassen sich allzu oft auf eigene Erfahrungswerte und Erlebnisse an Infoständen, in Familiengesprächen und auf Kundgebungen und Demonstrationen. Was jedoch fehlt, sind qualitative Daten, Studien und demoskopische Forschungsberichte, die möglichst präzise Bestandswähler und zusätzliche Potentiale abbilden. Die deskriptiven Datensätze müssten anschließend durch zielgerichtete Gruppenforschung und eigene Befragungen und Interviews fundiert werden.

Es geht jetzt darum, die Lebenswelt der eigenen Zielgruppe möglichst tiefgreifend zu verstehen. Wo und wie arbeiten die eigenen und potenziellen Wähler? Wo leben sie? Wie ist ihre ökonomische Lage? In welche sozialen Beziehungsgeflechte sind sie eingebunden? Wie sehen ihre Biografien aus? Was haben sie für Träume, Wünsche, Visionen und Lebensziele? Welche Musik hören sie? Welche Filme schauen sie? Wie sind ihre Konsumgewohnheiten? Für all diese Fragen gibt es sicherlich bereits Hypothesen, die allesamt die allgemeine „Unzufriedenheit“ der AfD-Zielgruppen zum Kern haben. Doch bereits existierende Studien zeichnen teilweise völlig unterschiedliche Bilder von den Motiven dieser Unzufriedenheit. Sowohl in prekären sozialen Milieus als auch in der gut situierten Mittelschicht mit materieller Zufriedenheit (aber Sorge vor sozialem Abstieg und Statusverlust) kann die AfD ihre Wählergruppen am stärksten mobilisieren. Auf dieser Grundlage gilt es, differenzierte Zielgruppencluster zu bilden, mit deren Hilfe schließlich auch unterschiedliche Ansprachen und Kommunikationsstrategien entwickelt werden können.

Fazit:

  • Einrichtung von eigenen Demoskopie- und Analyseabteilungen mit hauptamtlichen Mitarbeitern, die mit verantwortlichen Analysebeauftragten der jeweiligen Landesverbände eng kooperieren.
  • Große Datenbanken mit Zugriffsrecht für den entsprechenden Landesverbandsverantwortlichen auf Struktur- und Wählerdaten der eigenen Wahlkreise.
  • Professionelles Monitoring und Screening von Umfrageverläufen, politischen und gesellschaftlichen Stimmungslagen, sowie Reports von laufenden und abgeschlossenen digitalen Werbekampagnen, die anschließend in umfassende regelmäßige Zielgruppenberichte einfließen und übersichtlich visualisiert werden.

4. Die Integration der Jugend

Die JA als strukturell eingebundener Innovationsmotor der Partei

Sowohl in der letzten als auch in der neuen Legislaturperiode ist die AfD die Fraktion mit dem höchsten Altersdurchschnitt und dem höchsten Anteil an Ü60-Abgeordneten. Junge Mandatsträger sind in der AfD selten zu finden. Sie fangen aber gleichwohl an, als selbstorganisierter Block wie in NRW, erste Ansprüche innerhalb der Partei geltend zu machen.

Fakt ist auch, dass die AfD bei Jungwählern zwischen 18-25 Jahren und bei der Altersgruppe Ü60 im Vergleich zu allen anderen Parteien am schlechtesten abschneidet. In Ostdeutschland sieht hier das Verhältnis bei den Jungwählern wesentlich optimistischer aus, aber in der Gesamtbetrachtung und mit Blick auf westdeutsche Jungwähler bleiben doch einige Baustellen.

Das Verhältnis zwischen Junger Alternative und Mutterpartei hat sich in den letzten Jahren durchaus verbessert. Es bleibt aber auch aufgrund der VS-Beobachtung der JA und der kürzlichen Causa Neumann angespannt. Ansonsten gewinnt man zuweilen noch den Eindruck, dass die JA eher die Rolle einer klassischen Parteijugend einnimmt. Sie fungiert als Wahlkampf- und Veranstaltungshelfer und für manchen älteren Funktionär dient sie immerhin noch als Spendenempfänger zur Gewissensbefriedigung. Doch die JA muss sich mittelfristig aus dieser defensiven Rolle emanzipieren und zum Machtfaktor in der AfD werden. Die Grundlage für den innerparteilichen Gestaltungsanspruch liegt nicht in abgedroschenen Parolen wie „Jugend voran“ oder „Der Jugend eine Chance geben“, sondern in dem realen kommunikativen und programmatischen Innovationspotential der Jungen Alternative.
In der JA wächst aktuell eine wissenshungrige, digitalaffine Generation an Werbe- und Kommunikationsexperten, Denkern und Polittalenten heran. Die Nachwuchsarbeit sollte für jede Partei von besonderem Stellenwert sein. Der Blick auf die Jusos bei der SPD macht deutlich, wie eine Partei ihre Jugendorganisation optimal als Kaderschmiede nutzen und von den dort ausgebildeten Eliten profitieren kann. Die Biografien von Gerhard Schröder, Olaf Scholz, Kevin Kühnert u.a. geben hierzu weiterführenden Aufschluss. Auf der anderen Seite kann die Partei aus der Jugendarbeit Inspiration und Kraft für den täglichen politischen Kampf ziehen.

Fazit:

  •  Institutionalisierung der JA; Teilhabe derselben an Konzeption, Planung und Ausführung von Kampagnen und Programmprozessen der Mutterpartei.
  • Angemessene Vertretung von JA-Repräsentanten im nächsten Bundesvorstand.
  • Förderprogramme- und Plattformen für politisches Talentscouting innerhalb der eigenen Partei.

5. Gegenöffentlichkeit und
Kommunikationsprofessionalisierung

Alternative Medien sind nicht alles – Aber ohne alternative Medien ist alles nichts.

Insbesondere die Bundestagswahl 2021 hat nochmals unterstrichen, wie existenziell eigene Medien und der professionelle Aufbau einer Gegenöffentlichkeit für die AfD sind. Man braucht sich immer noch keine Illusionen über die Schwierigkeiten und Grenzen einer solchen Strategie machen. Die Reichweite einer Anne-Will- oder Markus-Lanz-Sendung kann auch ein gut performender Facebook-Post oder ein erfolgreiches YouTube-Video mit über 500.000 Aufrufen nicht erzielen. Und dennoch muss in den kommenden Jahren mit einer weiter verstärkten Stummschaltung der AfD auf den Kanälen der Mainstreammedien gerechnet werden.

Trotz der begrenzten Reichweite alternativer Medien und Social-Media-Kanäle füllt die AfD in ihrer organischen Performance auf den Plattformen YouTube und Facebook immer noch eine dominante Rolle aus. Dies gilt es im Stärkenprofil zu berücksichtigen, auszuspielen und zu optimieren.  In Abhängigkeit zur strategischen Herausforderung Nummer 3, der Zielgruppenanalyse, können in Zukunft noch wesentlich stärker und spezifischer potentielle Sympathisanten und Unterstützer über digitale Werbekampagnen adressiert und erreicht werden. Die Analyse der AfD-Digitalkampagne zur Bundestagswahl 2021 hat gezeigt, dass hinsichtlich der Budgetierung und der diversifizierten Zielgruppenansprache noch viel Verbesserungspotential besteht.

Aber auch in der allgemeinen Content-Strategie der AfD zeigen sich insbesondere zwischen den Landesverbänden erhebliche qualitative Unterschiede und Defizite. Noch lebt die Partei auch von einer gewissen Social-Media-Schwarmintelligenz ihrer Anhänger und Sympathisanten. Sie muss aber zugleich noch einiges an logistischer und organisatorischer Arbeit leisten, um einerseits einen einheitlichen qualitativen Medienstandard zu etablieren und andererseits die eigenen Formate breiter und innovativer zu präsentieren. Mit „AfD TV“ wurde bereits ein solider Standard etabliert, der sich jedoch in der Schnelllebigkeit der sozialen Netzwerke selbst verbrauchen und abnutzen kann. Entscheidend wird sein, auch eine Bereitschaft und Offenheit für die Medienmacher des vorpolitischen Umfeldes zu entwickeln und diese mittels Förderprogrammen und Kooperationen in die Medienarbeit der Partei zu involvieren. Alternative Medienkonferenzen müssen einen projektorientierten und visionären Charakter bekommen, anstatt sich lediglich auf ihren „Vernetzungscharakter“ zu beschränken.

In diesem Kontext wird die langfristige Medienstrategie vor allem in der Herausforderung einer permanenten Selbsterneuerung stehen. Wir brauchen jetzt den rechtskonservativen „Funk“-Kanal, die alternative ARTE-Dokumentationsplattform, den kritischen Deutschlandfunk und den „blauen Phoenix-Sender“. Nur in dieser visionären Selbstvergewisserung der eigenen Medienstrategie können die bestehenden Stärken auf diesem Gebiet noch effizienter ausgespielt werden.

Fazit:

  • Förder- und Stipendienprogramme für alternative Medienmacher, um diese bei ihren eigenen Projektvorhaben zu unterstützen. Daran anknüpfend auch Ranking- und Gratifikationssysteme für außerordentlich reichweitenstarke und innovative Medienprojekte. Dies schafft Aufbruchs- und Erneuerungsgeist.
  • Diversifizierung und Erweiterung eigener Contentformate – Dokumentationen, kurze Infovideos, Kultursendungen, Streaming und vieles mehr.
  • Aufbau einer Art parteiinterner „Medienmacher-Universität“ zur gezielten Förderung, Ausbildung und Unterstützung von jungen Videographen, Grafikern und Content-Produzenten.

6. Community Organizing und vorpolitische Räume.

Schaffung von AfD- Soziotopen

Organisation und Mobilisierung sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren jeder politischen Kampagne. In den USA erleben wir seit Jahren Wahlkampagnen, die sich vor allem durch die Mobilisierung hunderttausender freiwilliger Helfer auszeichnen. Die Schlüssel sind flache Hierarchien auf Lokalebene und geringe Einstiegsschwellen für die unmittelbare Partizipation an der Kampagne. Studien zeigen, dass die AfD-Anhängerschaft einerseits deutlich politisch interessierter und auch engagierter ist. Diese Tatsache sollte vor allem in starken AfD-Regionen als struktureller Vorteil wesentlich effizienter genutzt werden. Der Aufbau von örtlichen Bürgernetzwerken, regionalpolitische Kampagnen, Lokalzeitungen und Sozialaktivitäten bildet die Grundlage für den Aufbau gefestigter kommunaler AfD-Communitys. Hierüber entwickeln sich schließlich virale Netzwerkeffekte in der analogen Welt, die für jede Kampagne eine Premiumressource sein können. In einer kommunalen Verankerungsstrategie muss sich die Unterstützermobilisierung von statischen Systemen der reinen Parteimitgliedschaft verabschieden und breitere Involvierungsangebote schaffen.

Fazit:

  • Aufbau lokaler Kampagnenplattformen, die sowohl digitale als auch analoge sowie niedrige Einstiegshürden bieten und eine umfangreichere Toolkiste als nur „Spenden“ und „Mitglied werden“ bereitstellen.
  • Die AfD wird auf unbestimmte Zeit keine größere bundespolitische Rolle spielen. Umso wichtiger scheint es in den regionalen Schwerpunktgebieten der Partei, das örtliche soziale Leben proaktiv mitzugestalten. Hierfür bräuchte es eine parteiinterne Task-Force, die sich mit Strategien kommunalpolitischer Administration und vorpolitischer Verankerung auseinandersetzt. Hierzu gab es in der Vergangenheit antizipative Strategiepapiere für das Jahr 2025, die jedoch eher allgemein gehalten wurden. Mit Wahlergebnissen wie in Sachsen (wo im nächsten Jahr auch einige Landratswahlen anstehen) müssen die visionären Entwürfe jedoch mittelfristig zu konkreten Maßnahmenpaketen werden.

7. Kompetenzprofile und Zukunftsnarrative

Die AfD als politischer Problemlöser.

Die Bundestagswahl 2021 hat gezeigt, dass die AfD nach wie vor überwiegend als Protestventil der Bevölkerung wahrgenommen wird und ihr Kompetenzprofil lediglich in den Bereichen Zuwanderung und Innere Sicherheit einigermaßen stabile Werte aufweisen kann. In allen anderen Fragen, etwa zur Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Digitalisierung oder Umweltpolitik kommt sie nur auf niedrige einstellige Kompetenzwerte oder wird gar nicht mehr aufgelistet. Erfahrene Campaigner achten vor der Konzeption von Wahlkampagnen vor allem auf die Kompetenzzuschreibungen der jeweiligen Partei und können anhand dieser Werte entscheidende Kommunikationsstrategien und Imageprofile der Spitzenkandidaten abwägen und modellieren.

Die Kompetenzwerte zeigen an, mit welchen Themen und Inhalten die Partei bei ihrer Wählerschaft und bei potenziellen Anhängern am stärksten wahrgenommen wird und wo sie Vertrauen, Verlässlichkeit und Orientierung bietet. Die SPD hat in ihrer Bundestagswahlkampagne ihr Kompetenzprofil der „sozialen Gerechtigkeit“ stets sauber ausgespielt. Selbst das dominierende Thema der Klima- und Umweltpolitik, bei dem sich Union und Grüne einen Überbietungswettbewerb lieferten, kam in der SPD-Kampagne nur rudimentär vor – mit Erfolg, wie wir jetzt alle gesehen haben. Das Thema der sozialen Gerechtigkeit war für die meisten Wähler das wichtigste Thema und konnte durch das offensive Agenda-Setting aus dem Willy-Brandt-Haus auch das Identitätsprofil der SPD unterstreichen.

Die AfD wird sich in den kommenden Jahren ebenfalls mit der Schärfung und Erweiterung ihrer wahrnehmbaren Kompetenzen in der Wählerschaft auseinandersetzen müssen. Weiterhin im Vordergrund wird die Migrationspolitik stehen, mit der sich aber andere Themen wie Wohnungspolitik, soziale Gerechtigkeit, Arbeitsmarktpolitik und Geopolitik gut verknüpfen lassen. Hier wird es künftig nicht mehr reichen, die zehnte Statistik über Ausländerkriminalität auf Facebook zu posten, sondern das Migrationsthema auf ein insgesamt breiteres Fundament aus verwandten Themen zu stellen. Dazu braucht es jetzt auch keine hektischen Positionspapiere, sondern vor allem eine lebendige parteiinterne Debattenkultur, die auch ein unkonventionelles und experimentelles „Think outside the Box“ zulässt. Dieser unkonventionelle Geist sollte sich auch innerhalb konkreter programmatischer Zukunftsthemen für die AfD widerspiegeln. Vor allem im vorpolitischen Umfeld gibt es bereits Blog und Theorieorgane auf dem weiten Feld zwischen libertären und solidarpatriotischen Ideenwelten. Es gibt Zeitschriftenprojekte, die sich auf das Thema „rechte Ökologie“ spezialisiert haben. Es wird offen über Digitalisierung, die künftige Arbeitswelten, geo- und außenpolitische Fragestellungen debattiert. Nur innerhalb der eigenen parteiinternen Strukturen verharrt die Diskurskultur meist im Oberflächlichen und beschränkt sich mit politischen 80er-Jahre-Konzeptionen geistig selbst.

All diese Punkte erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sollen nur als Impulse und gedankliche Anregungen dienen. Teilweise sind sie nicht einmal neu und originell. Aber sie könnten manchen in der strategischen Visionsdebatte der AfD nochmal eine Art Vergewisserung und Orientierung bieten.

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