Nativismus und
rechtes Wahlverhalten

Sozialer Status, Repräsentationslücke, Milieu oder Kultur- und Wertekonflikt? Inwiefern können migrationskritische Einstellungen das Wahlverhalten für rechte Parteien erklären und vorhersagen?  Wir nähren uns im nachfolgenden Artikel mit dem „Nativismus“ einem naheliegenden Phänomen und Konzept, dem bisweilen jedoch zu wenig Beachtung geschenkt wurde.

In der Wahlforschung herrscht bereits seit einigen Jahren Einigkeit darüber, dass die vergangenen Erfolgswellen rechtspopulistischer Parteien eher multidimensionalen Motivlagen und Einstellungsmustern entstammen. Insbesondere auf der sozioökonomischen Ebene findet sich inzwischen viel Forschungsliteratur, die sowohl objektive Variablen wie Einkommen, berufliche Stellung und Bildung, als auch subjektive Aspekte wie Abstiegssorgen, sozialer Statusverlust und Deprivationserfahrungen untersuchen. Gemein ist diesen Ansätzen, dass sie rechtspopulistisches Wahlverhalten zumeist nur als Chiffre für soziale und wirtschaftliche Abstiegswahrnehmungen und Unzufriedenheiten begreifen und weniger als ideologische Überzeugung.

Darin ist jedoch immer auch schon ein Reduktionismus enthalten, der lediglich die politische Nachfrageseite gegenüber der sozialstrukturellen Basis für rechtes Wahlverhalten berücksichtigt. Das heißt, rechtes Wahlverhalten wird dabei anhand transformativer Veränderungsprozesse der sozialen Beziehungen und sich neu herausbildender Milieus verstanden. Dass dies aber nur bedingt überzeugen kann, sehen wir vor allem vor dem Hintergrund des rasanten Aufstiegs rechtspopulistischer Parteien innerhalb der letzten 10 Jahre im gesamten Westen.

Während rechtes Wahlverhalten in den vergangenen Jahrzehnten zumeist ein gesellschaftliches Randphänomen blieb, dürfte die kurzfristige schnelle Etablierung kaum nur auf eine massiv beschleunigte Veränderung gesellschaftlicher Sozialstrukturen zurückzuführen sein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es unter anderem auch auf der politischen Angebotsseite zur Aktivierung eines bisweilen noch unmobilisierten und schlummernden Potentials gekommen sein muss. Das zeigen auch historischen Entwicklungslinien, die das rechte Einstellungspotential in der Gesamtbevölkerung konstant zwischen 15 und 20 % gemessen haben.

Somit können wir die Erfolgswellen der AfD auch als Ausdruck eines verfestigten rechten Wertemilieus lesen, dass sich auch schon in früheren politischen Erregungswellen, wie den Wahlerfolgen der Republikaner der 80er-90er Jahre zeigte. Geografische Aggregatdaten deuten hierzu bereits auf ähnliche soziostrukturelle Muster zwischen früherer Republikaner– und heutiger AfD-Wählerschaft hin. Das heißt, die heutigen rechten Wahlerfolge können nur bedingt auf die Veränderungen ihrer sozialen Basis erklärt werden und benötigen somit zusätzliche Erklärungszusammenhänge und Variablen, die insbesondere die Tiefenstrukturen von Einstellungskoordinaten und moralischen Wertesystemen in Beziehung zu den sozioökonomischen Faktoren setzen.

Der Populismus als „dünne Ideologie“

In der wissenschaftlichen Forschung wird der Populismus als ein Mobilisierungskonzept verstanden, bei dem das Gegensatzpaar von „Volk und Elite“ als polarisiertes Spannungsverhältnis nachgezeichnet wird. Damit kann der Populismus kaum als ein ideologisch geschlossenes System gefasst werden und zeichnet sich somit durch ein inzwischen breites Facettenreichtum linker und rechter Spielarten aus.  Er ist dadurch auch eher als flexibles politisches Stilmittel und eine agile Mobilisierungsstrategie und weniger als ein politisches Programm zu verstehen. Der Populismus ist eher ein der Ideologie vorgelagertes System, das erst durch die Zusatzausstattung weiterer konkreter Einstellungsmuster eine Form und Kontur erhält. Er benötigt somit ein sogenanntes ideologisches „Host-System“ wodurch die Wechselwirkung von politischem Stilmittel sowie programmatischer Konzeption und Wählermotivation tragfähig und politisch effektiv wird.

Nativismus als Konkretisierungsebene

Der niederländische Politikwissenschaftler Cas Mudde hat mit dem „Nativismus“ und „Autoritarismus“ zwei Kernelemente identifiziert, die insbesondere den Rechtspopulismus spezifischer charakterisieren sollen und gleichzeitig eine definitorische Abgrenzung zum Linkspopulismus leisten.

Mudde beschreibt den Populismus als eine „dünne Ideologie“ der vermittelt über diese Zusatzattribute überhaupt erst eine gewisse Tiefe und Substanz erhält. Das prägnanteste Merkmal des Rechtspopulismus zeichnet sich vorwiegend durch den „Nativismus“ aus, der über eine identitäre Komponente die Exklusivität einer eigenen ethnokulturell definierten Innengruppe mit einer damit verbundenen Abgrenzung zu einer fremden Außengruppe vermittelt. Das heißt, vor allem die heutige kulturelle Konfliktlinie in der Migrationskritik findet im Einstellungsprofil des „Nativismus“ ihren entscheidenden Ausdruck.

Speziell nativistische Einstellungen werden somit durch politische Positionen und Forderungen wie geschlossene Grenzen, restriktive Einwanderungspolitik und die Skepsis/Ablehnung gegenüber der multikulturellen Gesellschaft gemessen und vom reinen Abstraktionsbegriff des Populismus auch unterschieden. Populistische Einstellungen und der Nativismus stehen dementsprechend nicht in einer zwangsläufigen Abhängigkeit zueinander und können somit das Wahlverhalten für rechte oder konservative Parteien entweder als isolierte Kategorien oder Kombinationen erklären. Der Populismus kann sich über ein breites politisches Spektrum von links bis rechts erstrecken, während der Nativismus eher nur als Exklusivmerkmal für rechte Parteien gilt.

Das Interesse der Politikwissenschaft liegt nun vor allem im Erkenntniszugang von Effektstärken, womit sich rechtes Wahlverhalten möglichst präzise nachvollziehen lässt. Dadurch sind auch Vergleichsstrukturen mit den eingangs erwähnten ökonomischen Variablen möglich, die vermutete Effekte oder scheinbare Korrelationen relativieren oder widerlegen können.

Alternativen zur Modernisierungsverliererthese

Das Aufkommen rechtspopulistischer Parteien und ihrer Wählermobilisierung wird spätestens seit den 90er-Jahren entlang der Debatte um die „Modernisierungsverliererthese“ geführt. Die Modernisierungsverliererthese geht davon aus, dass das soziale Fundament für rechtes Wahlverhalten durch ökonomische Abstiegsbedrohungen, subjektive und objektive Deprivationserfahrungen sowie soziale erwerbsbiographische Deklassierungen geprägt ist. Die Empirie kann diese Befunde in vielen Fällen bestätigen. Auch für die AfD gilt, dass ihre Wählerschaft im überdurchschnittlich innerhalb unterer Mittelschichten vertreten und häufiger von sozialen Abstiegssorgen betroffen ist.

Diese Tatsache verführt in rechten Kontexten nicht selten zu politstrategischen Gedankengebäuden wie bspw. dem „Querfrontgedanken“, wonach die beiden populistischen Arten von links und rechts eigentlich ähnliche Zielgruppen und Milieus ansprechen müssten. Auch der Niedergang der europäischen Sozialdemokratie wird über die Modernisierungsverliererthese als Folge der Neoliberalisierung und Allianzen mit dem Kapitalismus durch sozialdemokratische Parteien in Regierungsverantwortung, Anfang der 2000er-Jahre erklärt. Der Wählerexodus von SPD & Co würde sich demnach lediglich aus einer schlechten Politperformance und Vertrauensverlusten in reinen politischen „Issue-Fragen“ der letzten Jahre erklären. Demnach müssten die Parteien links der Mitte lediglich ein sozialpolitisch überzeugendes und attraktives Angebot machen, um rechtspopulistische Wähler „zurückzugewinnen“.

Warum dies nicht gelingt, kann womöglich am ehesten über die nativistischen Einstellungsmuster und die daraus resultierenden kulturellen Spannungslinien erklärt werden. Trotz der sozialen Diversität der AfD-Wählerschaft tritt sie in migrationspolitischen und kulturellen Fragen sehr geschlossen auf. Bei nahezu allen Wahlen geben stets über 90 % der AfD-Wähler an, dass sie es gut finden, dass die Partei den Zuzug von Migranten begrenzen möchte. Selbst unter der Gesamtwählerschaft gaben 2017 mehr als ein Drittel an, dass sie es gut finden, dass die Partei sowohl den Einfluss des Islams in Deutschland und die Zuwanderung begrenzen möchte.

Bei Themen wie Migration und Kriminalitätsbekämpfung konnte sich die Partei bei der Gesamtwählerschaft ein eigenständiges Kompetenzprofil aufbauen. Die Einwanderungskritik ist das Alleinstellungsmerkmal und die thematische Repräsentationslücke, die ihren Aufstieg entschieden vorangetrieben hat. Der Erfolg bei der Bundestagswahl 2017 speiste sich im Wesentlichen aus einer für die AfD günstigen Themenlage, wonach immerhin 40 % der Wahlbevölkerung die Migration als wichtigstes Problem betrachteten.

Alle Daten und Studien der letzten Jahre weisen darauf hin, dass die AfD die einzige Partei ist, die in Migrationsfragen am stärksten profiliert und abgegrenzt zu ihrer politischen Konkurrenz ist.

Schließlich ist die Migrationskritik auch das Thema, über das noch am ehesten ein mobilisierungsdynamischer Konflikt, im ansonsten stickigen Konsensklima der Bundesrepublik aufgebaut werden konnte. In den meisten Themenfeldern können wir zwischen den Parteien lediglich marginale Differenzen sowie unterschiedliche Akzentuierungen und Gewichtungen erkennen. Schon die Wahlerfolge der Republikaner Anfang der 90er-Jahre haben gezeigt, dass der Wahlerfolg rechter Parteien im Wesentlichen vom Agenda-Setting migrationspolitischer Fragestellungen und Themenfelder abhängt. Auch bei der AfD zeigten sich ab 2015 die steigenden Umfragewerte mit einer parallelen Zunahme der Migration als Problemwahrnehmung.

Eine Studie des Deutschen Wirtschaftsinstituts (DIW) konnte 2018 zeigen, dass sich sozioökonomische Effekte in der AfD-Wahlpräferenz fast vollständig relativieren, sowie man kulturelle und insbesondere migrationskritische Einstellungen als Variablen hinzufügt. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass unabhängig vom sozioökonomischen Status jemand mit einer tendenziell positiven Haltung zu Migranten eine um 51 % verringerte Wahlwahrscheinlichkeit für die AfD aufweist. Wer hingegen die Zuwanderung nach Deutschland mit Sorge betrachtet, hat eine um 79 % erhöhte Wahrscheinlichkeit für die AfD zu votieren. Jemand mit einem sozial niedrigen Status, aber einer migrationsoffenen Einstellung, weist eine kaum erhöhte Wahlpräferenz für die AfD auf. Nimmt man nun jedoch eine Vergleichsgruppe mit einem hohen sozialen Status, aber einer migrationsskeptischen bis ablehnenden Haltung, steigt die Wahlwahrscheinlichkeit für die AfD um das Vierfache.

Die Studie Warum ist die AfD im Osten so erfolgreich – Eine Untersuchung der ideellen Grundlagen der AfD-Wahl bei der Bundestagswahl 2017untersuchte ganz konkret, wie die AfD-Wahlwahrscheinlichkeiten mit populistischen und nativistischen Motivlagen (als abhängige und unabhängige Variablen) miteinander korrespondieren. Dort konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass die Wahrscheinlichkeit für ein AfD-Votum um mehr als die Doppelte steigt, wenn die Befragten ein hohes Maß an nativistischen Haltungen aufweisen. Der Populismus weist hingegen nur eine geringe Effektstärke auf.

Auch in der internationalen Forschung zum Rechtspopulismus bestätigte sich anhand mehrerer Parteibeispiele dieser Befund. So scheint sich die Zunahme rein populistischer kaum auf die Wahlwahrscheinlichkeit für eine rechte Partei auszuwirken. Es braucht offensichtlich die konkrete kulturelle Ergänzungsebene, vermittelt durch den Nativismus, womit wir signifikante Zunahmen der für die Zustimmung zu diesen Parteien beobachten können.

Fazit

Die Sympathie und Zustimmung für die AfD ist auf der thematischen Profilebene ganz klar durch die Kritik und Ablehnung der Massenzuwanderung gekennzeichnet. Das Wählervertrauen in die AfD übersetzt sich aus einem fundamentalen Wertekonflikt, der die Zukunftsfrage nach der kulturellen Substanz unserer Nation und unseres Volkes verhandelt. Über die Migrationsfrage kann die AfD Wählervertrauen, Bindungen und Loyalitäten aufbauen, da nur sie einen exklusiven Zugriff auf den zuwanderungskritischen Teil des Elektorats hat. Unabhängig von den Herausforderungen einer stärkeren Professionalisierung und Themenerweiterung sollten auch innerparteiliche Programmdebatten über bspw. ökonomische und geopolitische Ausrichtungen nicht zu einer Art „Blutsport“ ausarten, wenn klar ist, dass die strategische Ausgangsbasis für AfD-Wahlerfolge vor allem ihr klares migrationspolitisches Profil ist. Die Partei könnte womöglich so einige inhaltliche Konfliktdynamiken eingrenzen, wenn sie sich auf diesen Kern ihrer Erfolgsgeschichte immer wieder besinnt.

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