Digitaler
AfD-Wahlkampf

Digitaler Wahlkampf ist nicht mehr nur eine kommunikative Randerscheinung. Facebook, Instagram, YouTube und Co gehören inzwischen zum Standardprogramm in jeder Wahlkampagne. Doch jeder hat unterschiedliche Ansätze die Plattformen entsprechend zu bespielen und setzt jeweils andere Schwerpunkte in der Werbebudgetierung, Zielgruppenansprache und dem Content-Formaten. Wir haben uns im Besonderen die Digitalkampagne der AfD genauer angeschaut und geben einen Überblick über die politischen Informationskanäle der Wähler.

Wahlplakat, Zeitungsanzeige, TV-Werbung: Diese Trias gilt bis heute als Standard visueller politischer Werbung. Während sich in den USA der Fokus schon lange auf den datenbezogenen Haustürwahlkampf und Social Media verlagert, bleiben auch bei dieser Wahl die Werbemittel im Wahlkampf klassisch. Viele Experten prognostizieren vor jeder Bundestagswahl eine zunehmende „Digitalisierung“ der Kampagnen, die coronabedingt nochmals an Dynamik gewinnen solle. Doch auch dieser Wahlkampf blieb in seiner digitalen Form eher überschaubar und ambitionslos. Nahezu alle Parteien setzten auf die analoge Sichtbarkeit und den unmittelbaren Kontakt mit den Bürgern an den Infoständen und Kundgebungen.

Social-Media-Plattformen verlieren an Attraktivität für politische Wahlwerbung

Über die verschiedenen Kommunikationsmedien hinweg schneidet laut einer Forsa-Studie im August 2021 „Social Media“ als Tool zum politischen Informationsgewinn am schwächsten ab.

Betrachtet man hierzu die Altersverteilung, lässt sich zwar feststellen, dass sich insbesondere jüngere Zielgruppen zwischen 18 und 24 Jahren häufiger via Social Media zu politischen Themen informieren, der Anteil aber bereits bei den über 30-Jährigen deutlich abnimmt.

Nachdem die Debatten um „Fake-News“ und Wahlmanipulation spätestens seit dem Wahlsieg von Donald Trump 2016 über mehrere Jahre die öffentliche Berichterstattung über Digitalpolitik bestimmt haben, waren auch die Plattformbetreiber Facebook und Google dazu gezwungen, die Richtlinien für Wahlwerbung anzupassen. Was für politische Werber und Campaigner inzwischen bleibt, sind lästige Verifizierungsverfahren bei den Plattformen und stark limitierte Targetierungsmöglichkeiten für die Konfiguration der eigenen Zielgruppen. Zugleich schraubt Facebook bereits seit Jahren an seinem Algorithmus, sodass Inhalte von Freunden und Familienangehörigen präferiert angezeigt werden und politische als auch kommerzielle Werbung immer stärker eingeschränkt wird. Man muss diesen Schritt gar nicht inhaltlich bewerten, aber einsehen, dass effiziente Kampagnen de facto für politische Werber deutlich schwieriger geworden sind. Hinzu kommt das große Dilemma, dass die organischen Reichweiten (also Reichweiten ohne bezahlte Werbung) fast ausschließlich nur in den eigenen Blasen ausgespielt werden.

Das alles bedeutet nicht, dass politische Social-Media-Kampagnen wertlos geworden sind. Immer wieder gibt es herausstechende Beispiele von hoher Dynamik. Social-Media bietet viele experimentelle Möglichkeiten der Contentdarstellung, schafft Quantität und dient auch der Markenbildung, weshalb dieses Mittel nicht an Relevanz verlieren wird. Social Media sollte vielmehr als ein Teil des digitalen Werkzeugkastens verstanden werden, welcher mit der richtigen Nutzung und der Kombination aus weiteren digitalen Tools seine volle Wirksamkeit entfalten kann.

Was in der Forsa-Studie schließlich deutlich wird, ist die gestiegene Relevanz von Webseiten zur politischen Informationsgewinnung. Während sich die Social-Media-Nutzung in der Praxis oft nur in einem gelangweilten Durchscrollen durch den Newsfeed erschöpft und in einem deutlich härteren Werbewettbewerb steht, scheint die Webseite als Anker und Orientierungspunkt in den digitalen Kampagnen wesentlich mehr Bedeutung zu bekommen. Somit wird die künftig erfolgreiche Kampagnengestaltung im Wesentlichen von der Verknüpfung der Social-Media-Plattformen als sogenannte „homeless media“ mit der eigenen Webseite („homebase media“) abhängen.

Informierung und Mobilisierung auf den digitalen Plattformen.

Betrachtet man die Anhängerschaft der verschiedenen Parteien hinsichtlich ihrer Mediennutzung, lässt sich eine auffällig häufige Nutzung digitaler Informationsmedien auf Seiten der AfD feststellen. Die AfD-Anhänger nutzen im Vergleich zu den Anhängern anderer Parteien teilweise fast doppelt so oft dezentrale politische Informationsangebote. Auch das generelle Interesse am politischen Geschehen scheint bei AfD-Anhängern deutlich höher auszufallen. 28% geben an, dass sie sich sehr stark für Politik interessieren. Bei der CDU sind dies zum Vergleich nur 14%.

Die Mediennutzung und Informationsgewinnung in Wahlkämpfen ist abhängig vom Interessensgrad am politischen Geschehen. Im Vergleich zwischen den weniger stark interessierten Gruppen und den stark interessierten Gruppen (v.a. die AfD-Anhängerschaft) lässt sich erkennen, dass mit steigendem Interesse auch die Nutzung digitaler gegenüber analogen Medien zunimmt. Das ist eine Tatsache, die man bei künftigen Kampagnen hinsichtlich der Budgetverteilung zwischen analogen und digitalen Medien berücksichtigen sollte. Oftmals scheint in der Partei der größte Fokus auf konventionelle Mittel wie Flyer und Plakate gerichtet zu sein, die in der Gesamtbetrachtung auch die relevantesten Wahlkampfmedien sind. Doch die AfD hat sich im Vergleich zu den anderen Parteien und ihren Anhängerschaften im digitalen Raum schon jetzt eine Exklusivstellung erarbeitet.

Die AfD dominiert den digitalen Raum alternativer Medienangebote und bespielt eine Zielgruppe, die sich signifikant häufiger im Netz informiert und dort auch aktiv ist. Diese Tatsache sichert vermutlich auch die doch recht stabilen Umfrageergebnisse zwischen 10-12%. Während die Partei, anders als noch 2017, in diesem Wahlkampf kaum noch Sendezeit im TV bekommt und die Ausladungs- und Verweigerungspolitik der großen Medien immer unverhohlener und unverschämter wird, ist es inzwischen geschafft worden, das Gerüst einer kleinen aber hinsichtlich der Zielgruppe wirksamen Gegenöffentlichkeit aufzubauen. Doch darauf wird man sich kaum ausruhen können. Die quantitative Stärke im digitalen Kommunikationsfeld muss mittelfristig einhergehen mit einer qualitativen Weiterentwicklung. Das bedeutet, Follower in aktive Unterstützer zu transformieren und die eigene digitale Community zu Multiplikatoren der programmatischen Werbebotschaften zu machen und beständig neue Interaktionsmöglichkeiten anzubieten, die über ein „Like“ oder ein Kommentar hinausgehen.  Es geht darum, im eigenen Digitalauftritt das umzusetzen, was auch gute konventionelle Kampagnen auszeichnet: Unterstützerbindung, Interaktion, Community Organizing.

Die Messindikatoren einer erfolgreichen Kampagne liegen in der Informierung der Zielgruppe, der Teilhabe und Aktivierung der eigenen Anhängerschaft innerhalb der Kampagne sowie in der realen Mobilisierungskraft.
Allzu oft werden die Social-Media-Kanäle und Webseiten als „digitale Wahlplakate“ und „Online-Anzeigenbretter“ betrachtet. Die Botschaft wird zwar platziert und verbreitet, aber trotzdem fehlt es an aktiven Einbindungsmöglichkeiten und sogenannten „Call to Actions“, über die die Nutzer zu weiterführenden Aktivitäten animiert werden (bspw. Newsletteranmeldung, Wahlkampfhilfe, Weiterempfehlung oder bestenfalls sogar Parteimitgliedschaft).

Social-Media-Content kann sich also nicht mehr nur darauf beschränken, schnelle Zitatkacheln und sogenannte „Sharepics“ zu produzieren, sondern muss in einer effektiven Kampagnenstrategie den  Content nach der Aktivierbarkeit der eigenen Community ausrichten.

„Paid Advertising im Wahlkampf 2021“

Wie bereits in der Einleitung des Artikels beschrieben, gelingt die reichweitenstarke Streuung politischer Inhalte auf den Social-Media-Plattformen nur noch selten. Aus der Nutzerperspektive sind die Newsfeeds unübersichtlicher geworden und Beiträge von realen Personen aus dem familiären oder freundschaftlichen Umfeld werden häufiger ausgespielt als andere Beitragsarten. Trotz des Umstands, dass die Aufmerksamkeitserzeugung via bezahlter Werbung auf den Plattformen schwieriger wird, bleibt es dennoch derzeit die effektivste Maßnahme, um Botschaften an ein breites Publikum zu richten und gleichzeitig nach geographischen, ökonomischen und demographischen Gesichtspunkten spezifizierte Detailzielgruppen anzusprechen.

Auf den letzten Metern des Bundestagswahlkampfes hat die Bundespartei durchaus erkannt, wie wichtig die bezahlte Werbung auf den Plattformen ist und hat allein in der letzten Woche vom 01.09 – 07.09.2021 30.000€ auf der Plattform investiert. Insgesamt wurden zwischen dem Start der heißen Wahlkampfphase Anfang August ca. 160 Anzeigen geschaltet. Im Mix der Formate setzt die AfD häufiger auf Bilder und verhältnismäßig weniger auf Videocontent. Hier scheint man verstärkt eine recht plakative Linie zu verfolgen, die sich auch im visuellen Stil widerspiegelt. Während das Design der Kampagne insgesamt deutlich cleaner, heller und moderner erscheint, arbeiten die Werbebeiträge mit klaren Signalfarben und Bildmontagen.

Kaum erwähnenswert ist die Facebook-Werbung in den gleichzeitig wahlkämpfenden AfD-Landesverbänden Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. In MV wurden über den bisherigen Wahlkampf immerhin noch 17 Anzeigen geschaltet, für die knapp 300€ ausgegeben wurden. In Berlin kann man über die entsprechenden Werbetransparenztools keine Angaben zu geschalteter Werbung finden. Leider wird hier in den Landesverbänden viel ungenutztes Potential liegen gelassen.

Knalligere Signalfarben und Bildmontagen über die Social Media Bewerbung – Abgrenzung zur sonstigen CI Linie der Kampagne.


Auch im Google-Kosmos scheint die AfD die komplette politische Konkurrenz in den Schatten zu stellen. In den Google-Suchtrends steht die AfD seit Wochen an erster Stelle.

Im direkten Vergleich der Parteien hinsichtlich ihrer Suchhäufigkeit auf Google anhand bestimmter Parameter schneidet die AfD insgesamt am besten ab. Zieht man jedoch die Vergleichsparameter zum Bundestagswahlkampf 2017 hinzu, so zeichnet sich eine deutlich abnehmende Kurve in den Suchanfragen zur AfD ab. Dies mag unter anderem auch daran liegen, dass die Suchtrends meist thematische Schwerpunkte in den klassischen Mainstreammedien abbilden, in denen die AfD aktuell kaum Erwähnung findet.

Interessanter ist ein Blick über das Google-Netzwerk auf die Werbemaßnahmen und Ausgaben der jeweiligen Parteien. Wie auch schon bei Facebook, scheinen die Grünen ihre Großspenden der letzten Monate intensiv in den digitalen Wahlkampf investiert zu haben. Sowohl bei Facebook als auch Google sind sie zumindest in den Gesamtausgaben bisheriger Spitzenreiter. Die AfD scheint bei der Werbung via Google etwas sparsamer und zurückhaltender vorzugehen, obwohl sich zahlreiche Möglichkeiten vom Display-Netzwerk über Suchanzeigenbanner bis hin zu YouTube-Werbung in der Plattformauswahl auftun. Auch die Analysetools zur Messung der Erfolgsindikatoren einer digitalen Kampagne sind via Google deutlich umfangreicher und können somit zur Erkenntnisgewinnung in weiterführende Zielgruppenanalysen einfließen und für künftige politische Kommunikation nutzbar gemacht werden.

Über Facebook und Instagram ist die AfD zumindest in der Bundestagswahlkampagne in den letzten Tagen deutlich offensiver und ausgabenfreudiger geworden. Bei Google plant man offensichtlich noch mit kleineren Budgets und hat durchaus noch einige Potentiale, um auch hier das Werbefeld im Vergleich zur Konkurrenz zu dominieren. Die Parameter in den Suchtrends zeigen, dass man auch hier die Hausmacht ist. Umso verwunderlicher erscheint es, dass man zwar die dezentralen Plattformen gut für sich zu nutzen weiß und eine loyale und reichweitenstarke Community aufbauen konnte, die aber kaum über ein entsprechend attraktives Webseitenangebot abgeholt wird. Die Kampagnenseiten zu den Wahlen am 26. September haben, mit Ausnahme die des Berliner Verbandes, viele vermeidbare technische Fehler, mangelhafte Nutzerführung (Usability) und zeichnen sich durch ein recht uninspiriertes Contentangebot aus.

Das konventionelle Verständnis von Webseiten als „digitale Visitenkarten“ von rein informativem Charakter trägt dem Anspruch der Zeit nicht mehr Rechnung. Webseiten sind nicht mehr allein dazu da, Informationen darzustellen und das Publikum aufzuklären.

Vielmehr werden Webseiten zu digitalen Erlebnisräumen, in denen die Zielgruppe Orientierung und Übersicht erhält und sich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Zugleich steigt der allgemeine Anspruch moderner Webseiten hinsichtlich der Aktivität und Teilhabe der User. Der Standard von heute, wonach eine politische Webseite mindestens einmal einen Spendenbutton und ein Kontaktformular enthalten sollte, wird bald schon überholt sein. Intelligente Suchfunktionen, „Gamification“ mit Quiz, eigener interner Wahl-O-Mat zur Datenaggregation, integrierte Messenger und Direktnachrichtenfunktionen, attraktive Videoplayer, interne Shops und auch redaktionell betriebene Unterseiten für Nachrichten und Kommentare – das sind die Entwicklungen, die moderne politische Webseiten auszeichnen. Ein paar kleine inspirierende „Best Practice“- Beispiele lassen sich in der FDP-Kampagne hier und hier finden.
Bei Sympathiesanten mit starkem politischem Interesse (welches wie oben gezeigt, am häufigsten auf die AfD-Anhängerschaft zutrifft) zeigt sich übrigens eine besondere Nutzungspräferenz für Webseiten zur politischen Informationsgewinnung.

Fazit:

Bis die Wahlkämpfe in Deutschland und Europa eine ähnliche Qualität wie in den USA erreichen, wird es vermutlich noch einige Wahlperioden dauern. Fest steht, dass vor allem medial ausgegrenzte Oppositionsakteure von den Möglichkeiten des Netzes am stärksten profitieren und trotz ihrer bereits etablierten Stärke noch einige unausgeschöpfte Potentiale haben. Künftige Digitalkampagnen der AfD werden sich nicht nur an der ausschließlichen Reichweite und Followerschaft messen müssen. Zusätzlich geht es darum, den Digitalwahlkampf auch dafür zu nutzen, die eigene Anhängerschaft für analoge politische Aktivitäten zu mobilisieren und einen umfassenden analytischen Werkzeugkoffer bereitzustellen, mit dem aus den gewonnenen Daten der Kampagnen neue Erkenntnisse zur Zielgruppenstruktur geliefert werden, die dann in die dauerhafte politische Kommunikationsarbeit einfließen.

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