AfD-Mecklenburg-Vorpommern
Wahlkampfanalyse

Es sind nur noch wenige Tage bis zum Wahlsonntag, an dem in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und im Bund gewählt wird. Für uns ist das Anlass, unsere Serie zur abschließenden Analyse der Wahlkämpfe zu den einzelnen Landtagswahlen und der Bundestagswahl zu starten. Wir setzen unsere Serie mit dem Wahlkampf an der Küste in Mecklenburg-Vorpommern fort.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern wird am kommenden Sonntag ein neuer Landtag gewählt. Vor ca. einem Jahr war die AfD mit der ambitionierten Vorwahlkampfparole „Stärkste Kraft in MV“ in die Öffentlichkeit gegangen. Angesichts der aktuellen Umfragen dürfte dieses Ziel jedoch am Sonntag in weite Ferne gerückt sein. Der Slogan wurde schließlich spätestens seit Anfang des Jahres wieder zurück in die Schubladen gepackt. Während die AfD in MV 2016 mit 20,8% die Stärke der Partei im Osten zementierte, wiesen zwischenzeitliche Umfragen Ergebnisse um die 14% auf. Ein Weckruf, der auch den Landessprecher Leif-Erik-Holm dazu zwang, wieder kleinere Brötchen zu backen.

Inzwischen hat sich die Partei zwischen 16-18% konsolidiert. Damit wäre Mecklenburg-Vorpommern in diesem Jahr jedoch das zweite Ost-Bundesland nach Sachsen-Anhalt, in dem die AfD leichte Verluste hinnehmen müsste. Wahrlich mögen dies Ergebnisse sein, von denen manche Westverbände nur zu träumen wagen, doch mit Wahlergebnissen von <20% werden sich in den Ost-Verbänden strategische Fragen zu realen politischen Gestaltungsmöglichkeiten unweigerlich stellen. Landessprecher Holm schwor die Mitglieder schon einmal auf das Jahr 2026 ein, wo er deutlich machte, dass die AfD bis dahin in der Schweriner Staatskanzlei sitzen müsse. Wie dies gelingen soll, blieb jedoch unklar. Derartige Ziele bedürfen mindestens auch einer strategischen Vision, die Wählerschaften in verfestigte Communitys sammelt und bindet und zugleich einen Kompass der realistische Wählerpotentiale abbildet und künftige Erweiterungen in den inhaltlichen Profilierungen und weltanschaulichen Verortungen darstellt. Diese visionäre Kraft lässt der Landesverband in MV bis dato vermissen. Dazu am Ende des Textes mehr.

Eine weitere Schwierigkeit für die AfD in MV sind die grundsätzlich starken Zufriedenheitswerte für die Landesregierung und die Ministerpräsidentin Schwesig. In keinem ostdeutschen Bundesland sind die Menschen aktuell zufriedener mit der Regierungsarbeit als in Mecklenburg-Vorpommern. Selbst unter AfD-Anhängern besitzt Schwesig ein relativ hohes Ansehen. In dieser Lage steht man vor der Entscheidung, entweder durch eine Verschärfung des Oppositionskurses Stimmungen hervorzurufen und darauf zu spekulieren, dass dadurch das Protestwählerpotential noch offensiver angesprochen wird (die Strategie der AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt) oder sanftere Töne anzuschlagen, um die Stammwählerschaft zu halten und kleinere strukturkonservative und ältere Milieus zu gewinnen und damit die seriöse Anschlussfähigkeit zu bewahren. Die AfD kann inzwischen in allen Bundesländern und im Bund das Protestwählerpotential (welches im Osten zuvor von der Linkspartei gebunden wurde) für sich alleine reklamieren. Es ist der Identitätskern dieser Partei und kann sich zugleich auch zu einer Bremse entwickeln, da ein potentielles Wachstum immer stets auch auf eine Verschärfung der sozialen und ökonomischen Lage spekulieren muss. Die AfD muss jedoch Strategien entwickeln, mit denen sie sich proaktiv und von der externen Lage unabhängig aus stagnierenden Umfrage- und Wahlergebnissen befreien kann.

Strategische Ausgangslage

Die Stärke der SPD-Bundespartei wirkt sich auf die Popularitätswerte der Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und der Landes-SPD wie ein Turbo-Boost aus. Anfang 2020 rutschte die SPD in den Umfragen noch auf 20% herab und lieferte sich mit CDU und AfD ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Inzwischen dürfte mit einem Vorsprung von 20% für die SPD der Wettkampf um Platz eins gelaufen sein. Anders als in Berlin kämpft die AfD jedoch weiterhin um Platz zwei und die Oppositionsführerschaft.

Stimmungslage

Bei den wahlentscheidenden Themen dominiert im Herbst das Thema Bildung und Ausbildung mit deutlichem Abstand zu Arbeitslosigkeit und Arbeitsmarkt. Die vorherigen Schwerpunkte Wirtschaft und Corona wurden vom Bildungsthema gänzlich abgelöst. Die AfD-Kernthemen Innere Sicherheit und Migration kommen in der Liste nicht einmal mehr vor. Es offenbart sich einmal mehr das große Problem der mangelnden Politikfeldkompetenz für die AfD, welches insbesondere Ost-Landesverbände mit Potentialen über 20% langfristig hemmen und stagnieren lassen könnte.

Man kann mit Sicherheit auch für MV sagen, dass ein Bestand von 15-20% Protestwählerpotential langfristig gesichert und gehalten werden kann. Wesentliche Zugewinne hin zu einem Wahlergebnis im Bereich zwischen 25-35% erfordern jedoch erhöhte Kompetenzwahrnehmung auf weiteren Politikfeldern sowie ein grundsätzliches Vertrauen der Wähler in die eigene Programmatik. Das heißt, Aufgabe der kommenden Legislaturen in den Ost-Verbänden muss weiterhin sein, das Protest-Kontinuum zu halten, gleichzeitig aber das eigene weltanschauliche und programmatische Profil zu schärfen. In den wahlentscheidenden Themen weist die AfD beim Thema Arbeitsmarkt zwar eine durchschnittlich höhere Kompetenz auf aber im Bereich Bildungspolitik als das wahlentscheidende Thema liegt sie abgeschlagen bei nur 6% Vertrauen der Bürger.

Hinsichtlich der inhaltlichen Schwerpunktsetzung der Kampagne der AfD MV fällt auf, dass es eigentlich gar keinen richtigen Schwerpunkt gibt. Auf den Social-Media-Kanälen wurden in regelmäßigen Abständen immer wieder Kernpunkte aus dem Landtagswahlprogramm thematisiert, doch eine bestimmte Fokussierung oder eine konkrete Erzählung ist in der Gesamttonalität der Kampagne nicht erkennbar.

Man könnte nun vermuten, dass die Partei insgesamt ein breiteres programmatisches und inhaltliches Angebot liefern möchte, doch die AfD wirkt im Wahlkampf in MV an vielen Stellen leider auch ideenlos und uninspiriert. Exemplarisch dafür stehen viele Plakate der Direktkandidaten, bei denen die meisten sich ausschließlich auf die Nennung des Kandidatennamens und dem Appell „in den Landtag“ beschränken. Völlig überflüssig ist an manchen Stellen dann schließlich der Verweis auf den entsprechenden Wahlkreis. Für die potentiellen Wähler dürfte es kaum eine Rolle spielen, ob ein Kandidat im Wahlkreis 35 oder 23 kandidiert und die meisten können mit den Zuweisungen ohnehin nichts anfangen.
Anders als in Berlin wurde in die Gestaltung der Plakate für die Direktkandidaten wenig kreative Energie investiert. Eine Botschaft, die sich lediglich auf die Aussage „in den Landtag“ komprimiert, kann im schlechtesten Falle als selbstgerecht und abgehoben wahrgenommen werden. Der Spruch eignet sich vielleicht als guter Subslogan. Es fehlt aber an einer inhaltlichen Argumentation, warum der jeweilige Kandidat tatsächlich „In den Landtag“ gehört. Wenn dann Slogans von den Kandidaten gewählt wurden, bleiben diese jedoch meist recht generisch und bedienen den Standardbaukasten klassischer AfD Claims.

Auch auf der Wahlkampfseite des Landesverbandes für die Landtags- und Bundestagswahl beschränkt man sich auf das Nötigste. Neben dem verlinkten Wahlprogramm findet sich noch eine interaktive Karte mit allen Direktwahlkandidaten, zu denen man jedoch kaum weitere Informationen erhält, wie etwa biografische Angaben oder politische Positionen.

In der Gesamtbetrachtung beschränkt sich die Webseite auf die Archivierung älterer Blogposts und Pressemitteilungen der Landtagsfraktion, einen Spendenhinweis und diverse Terminankündigungen. Neben vielen kleineren Layoutfehlern mangelt es der Homepage an unmittelbaren Interaktionselementen. Nicht einmal der Wahlwerbespot scheint verlinkt oder eingebunden worden zu sein. Wir haben in einem früheren Beitrag bereits verdeutlicht, warum politische Webseiten schon längst nicht mehr nur Visitenkarten-Charakter haben sollten.

Visualität und Tonalität

In den Plakaten und dem Social-Media-Content orientiert sich die Kampagne am stärksten noch an älteren AfD-Designs. Die CI des Landtagswahlkampfes in MV wurde in ähnlicher Form auch im Landtagswahlkampf 2018 in Bayern verwendet. Sie zeichnet sich aus durch weitgehend saubere Stockfotos mit leicht transparentem Blauschimmer, der bei der Typographie als Volltonfarbe hinterlegt ist. Typographisch sind alle Botschaften in Kapitalien gehalten, was bei den dünneren Schriftschnitten jedoch die Lesbarkeit einschränken könnte, insbesondere dann, wenn wie in einigen Grafiken zwischen den Schriften auch die visuellen Hierarchien im Gesamtlayout fehlen wenn überall die gleichen Schriftgrößen verwendet werden. Trotz kleinerer handwerklicher Fehler wirken die Designs zur Landtagswahl insgesamt aber wesentlich aufgeräumter, klarer, farbeinheitlicher und strukturierter als die frühere grafische Linie des Landesverbandes.

Social Media und Wahlwerbespot

Im Vergleich zum Landesverband ist die allgemeine Contentfrequenz im Landesverband deutlich geringer ausgeprägt und beschränkt sich primär auf Zitate aus dem Wahlprogramm und Veranstaltungsankündigungen. Letzteres wird laut Facebook-Werbebibliothek am häufigsten beworben. In den letzten sieben Tagen gab der Landesverband gerade einmal knapp 300€ für Social-Media-Werbung aus (hier allerdings mehr als die AfD Berlin, die laut Werbebibliothek auf der Plattform gar kein Geld investierte). Ansonsten zeigt sich jedoch auch hier, dass bezahlte digitale Werbeanzeigen in der Partei immer noch zweitrangig behandelt werden. Natürlich dominiert die AfD meist die organischen Reichweiten und die weichen Schlüsselperformancewerte. Für die Optimierung und Professionalisierung künftiger Kampagnen wird das tiefe Verständnis der eigenen Zielgruppe jedoch immer relevanter. Reichweiten, Likes und Kommentare müssen sich mittelfristig in direkte Mitmachmöglichkeiten und die Diversifizierung digitaler Informationskanäle ausweiten. Das lückenhafte Verständnis der eigenen Zielgruppe muss sich in datenbasierte und differenzierte demographische Cluster transformieren und idealerweise sogar kleinere digitale Stammcommunitys.

Das Videoformat wurde von der AfD-MV deutlich seltener genutzt. In der heißen Wahlkampfphase veröffentlichte der Landesverband gerademal fünf Videos auf dem hauseigenen Kanal. Die meisten wurden auf dem eigenen Facebook-Kanal recycelt, wodurch sich auch dort über die heiße Wahlkampfphase hinweg nur acht Videos mit MV-Bezug finden lassen. Der Stil der Videos variiert zwischen Statements des Landessprechers Leif-Erik-Holm, Wahlprogrammerklärungen in 99 Sekunden (inzwischen Wahlkampfstandard) und vereinzelten Wahlkampfreden. Längere Videoreihen, regelmäßige Formate, Wahlkampfberichterstattungen oder auch der Ausbau von Infovideos findet sich in der Kampagne nicht.

Der Wahlwerbespot

Der größte kommunikative Flop des MV-Wahlkampfes ist der TV-Spot. Hier muss man sich wirklich die Frage stellen, wie eine Partei, die in 5 Jahren Regierungsverantwortung übernehmen möchte, ein derartiges Machwerk verantworten kann und ob es denn keinerlei Qualitätskontrollgremium mit Korrekturschleifen und Revisionsprozessen gab, was dessen Ausstrahlung hätte verhindern können.

Der Spot beginnt mit einigen Aufnahmen der beiden prominenten Gesichter der AfD MV, Nikolaus Kramer und Leif-Erik-Holm, und schon an dieser Stelle fällt sofort auf, dass das entsättigte und schlecht belichtete Bild bei der Nachbereitung keinerlei Farb- und Lichtkorrekturen erhalten hat. Anders ist das wiederum bei den Aufnahmen von der Auftaktkundgebung in Schwerin, die möglicherweise von einem anderen Kameramann gemacht wurden. Ansonsten ist der Spot an so vielen Stellen schlicht und ergreifend unsauber und ignoriert komplett die Sicht des Endbetrachters -allein schon die kurzen Schnitte mit den bewegten Vollbildern und die Schlagzeilen auf grellem blauen Hintergrund sind komplett unstrukturiert und lassen die Aufmerksamkeit des Betrachters führungslos zurück.

Das Highlight ist dann schließlich die wahrscheinlich selbst komponierte Fahrstuhlmusik in Verbindung mit dem halb geträllerten, halb ins Mikrofon hineingestöhnten „Aber normal“ der digitalisierten Sprecherstimme. Das Ganze kommt daher wie ein schlechter Werbespot aus den 90ern und würde in der heutigen Jugendsprache zu Recht als „cringe“ bezeichnet werden. Man hätte den Spot im besten Fall noch als humorvolle Einlage präsentieren können, doch bedauerlicherweise war das nie die Absicht der Produzenten. Man muss befürchten, dass das vollkommen ernst gemeint ist. Wie aus den Social-Media-Profilen einzelner Spitzenakteure des Landesverbandes deutlich wird, scheint der Spot erst inmitten der heißen Wahlkampfphase abgedreht und geschnitten worden zu sein, was mindestens einmal auf ein schwaches Projektmanagement hindeutet.

Interne Machtkämpfe hemmen Wahlkampf

Während es viele Landesverbände geschafft haben, die latenten innerparteilichen Konflikte zumindest für die Zeit des Wahlkampfes stillzulegen, wurden in MV die Streitigkeiten sogar mitten in die heiße Phase getragen. Querulanten, die meinen sich selbst als Retter der Partei ermächtigen zu müssen und in peinlichen Aufklärungsvideos behaupten, die „Stimme der Basis“ zu sein, enttäuschte Professoren, die in ihrer eitlen Geltungssucht und Verbitterung nur noch ein Zerstörungswerk hinterlassen wollen und ein Landesvorstand, der möglicherweise auch etwas gelassener hätte reagieren können und kaum noch in der Lage war, diese Konflikte zu moderieren und seine Gegner weder einbinden noch motivieren konnte – dies führt natürlich auch bei den normalen Wahlkämpfern zu Frustration und Resignation.

Ausgerechnet die Hansestadt Rostock als größte Stadt in Mecklenburg-Vorpommern mit 13% aller Wahlberechtigten ist ein Zentrum dieser fundamentalen Konfliktlinien im Landesverband. So kann in der Hansestadt weder auf Personal noch auf Infrastruktur zurückgegriffen werden, die einen engagierten und innovativen Wahlkampf ermöglichen würde. Leider wurde auf diesen Umstand auch nicht mit einer Art „Wahlkampf-Task-Force“ reagiert. Zu allen kleineren logistischen und organisatorischen Problemen kam schließlich noch erschwerend der Umstand hinzu, dass der Landesvorstand ebenfalls kurz vor der Wahlkampfphase in sich zusammenfiel und drei Vorstandsmitglieder in kurzen zeitlichen Abständen zurücktraten. Zahlreiche Maulhelden sahen dies aber nicht als Anlass, lokal eigene engagierte Wahlkampfakzente zu setzen, sondern riefen stattdessen in destruktiver Absicht sogar zur Nichtwahl eigener AfD-Kandidaten auf und betrieben damit faktisch das Geschäft des politischen Gegners.

Fazit:

Mecklenburg-Vorpommern zeigt, wie wichtig innerparteiliche Geschlossenheit auch für die Motivation und das Engagement der Wahlkämpfer ist und welch schwere organisatorische und logistische Probleme destruktive Personalkonflikte in der Wahlkampagne nach sich ziehen können. Optisch und visuell ist im Vergleich zur Landtagswahl 2016 durchaus eine Verbesserung festzustellen, auch wenn einige kleinere handwerkliche Fehler bleiben. In der Video-Strategie spielt der Landesverband leider noch in der Kreisklasse, während man jedoch politisch bereits bei den ganz Großen mitspielen möchte. Für die ambitionierten Ziele der Partei in MV müsste hier definitiv an professionelleren Kommunikationskonzepten sowie an politischer Fachkompetenz gearbeitet werden, die es der Partei ermöglicht, ihr Vertrauensprofil zu stärken und auch andere Inhalte in starke und überzeugende Kampagnen zu verpacken.

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