AfD-Berlin
Wahlkampfanalyse

Es sind nur noch wenige Tage bis zum Wahlsonntag, an dem in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und im Bund gewählt wird. Für uns ist das Anlass, unsere Serie zur abschließenden Analyse der Wahlkämpfe zu den einzelnen Landtagswahlen und der Bundestagswahl zu starten. Wir beginnen mit dem Hauptstadtwahlkampf in Berlin und beleuchten dabei wie gewohnt die Kampagne der AfD.

Neben der Bundestagswahl stehen auch in Mecklenburg-Vorpommern die Landtagswahlen und in Berlin die Abgeordnetenhauswahlen an. 2016 zog die AfD in Berlin mit einem beachtlichen Ergebnis von 14,2% und 25 Mandaten in das Abgeordnetenhaus ein. Damit verbuchte der Landesverband das stärkste Ergebnis aller Stadtstaaten in der Bundesrepublik und konnte sich auch im Vergleich zu anderen Großstädten ab einer Einwohnerzahl von mindestens einer Million Menschen deutlich absetzen. Selbst der Abstand zu den traditionell starken Parteien der Linken und Grünen in Berlin war denkbar knapp.

Die aktuellen Umfragen deuten weder auf den Erhalt des Ergebnisses von 14,2% geschweige denn auf einen Ausbau desselben hin. In den Umfragen der letzten zwei Monate hat sich die Partei im Bereich der 9-11% konsolidiert. Wer das linke politische Biotop Berlins kennt, weiß jedoch auch, dass ein Ergebnis im niedrigen zweistelligen Bereich vielleicht ernüchternd sein mag, aber keineswegs enttäuschend sein muss.

Strategische Ausgangslage

Die historische Ost-West-Teilung in Berlin spiegelt sich auch in der AfD-Wählerverteilung wider. 2016 konnte die AfD durch die starken Ergebnisse in den Ostbezirken sogar fünf Direktmandate gewinnen, so etwa in Lichtenberg, Pankow und Marzahn-Hellersdorf. Der Westen und die Zentralbezirke bleiben jedoch die Hoheitsgebiete der Altparteien um CDU, SPD und Grüne. Stärkster Konkurrent für die AfD in Ostberlin bleibt die Linkspartei, die auch bei der zeitgleich stattfindenden Bundestagswahl auf ihre prominenten Zugpferde Gregor Gysi in Treptow-Köpenick und Petra Pau in Marzahn-Hellersdorf setzt.

Berlin ist von linksgrünen Wählermilieus dominiert, zu der man in Berlin auch weite Teile der FDP- und CDU-Wählerschaft rechnen kann. Interessant dürfte allein das Spitzenrennen zwischen Grünen und SPD um die künftige Besetzung des Bürgermeisterpostens werden. Die Rot-Rot-Grüne Koalition bleibt in der Hauptstadt voraussichtlich zementiert. Die AfD ist weit davon entfernt, die Oppositionsführerschaft an sich zu reißen und wird mit ihrem Ergebnis auch die politische Tektonik in der Hauptstadt kaum verschieben können.

Berlin ist von bestimmten soziokulturellen Mentalitäten geprägt, die auch in der Zielgruppenansprache und Kommunikation ihre Entsprechung finden müssen. Während die AfD in Westberlin versucht, auf die klassischen bürgerlich-konservativen Milieus in Zehlendorf und Charlottenburg/Wilmersdorf zuzugehen, müsste in Ostberlin ein ganz anderer Schwerpunkt innerhalb der Plattenbaulandschaften von Marzahn-Hellersdorf auf sozialpolitische Themen gesetzt werden. Auffällig an der Berliner AfD ist, dass die Mehrzahl der prominenten Akteure und Wahlkampfzugpferde in Westberlin auftritt. Die beiden größeren öffentlichen Kundgebungen und Wahlkampfveranstaltungen fanden ebenfalls im Westbezirk Charlottenburg statt. Aufschlussreich ist auch das Verhältnis von aufgestellten Großflächenplakaten in den einzelnen Bezirken. Insgesamt stellte die Partei in Berlin 124 Großflächenplakate auf, davon 105 in den Westbezirken und nur 19 im Berliner Osten. Angesichts der bekannten Sabotageakte überrascht es nicht, dass die Berliner AfD im Verhältnis zu den anderen Parteien insgesamt deutlich ressourcensparender ist und weniger Großflächenplakate aufstellt. Die Verteilung der Großplakate ist noch kein durchschlagendes Argument, aber zumindest ein Indiz für die Fokussierung auf geografisch unterschiedliche Wählergruppen in der Bundeshauptstadt. Fairerweise muss man dazu erwähnen, dass es bei den Kleinplakaten jedoch ein deutliches Übergewicht im Ostbezirk Marzahn-Hellersdorf gibt.

Eine klare Vision oder strategische Zielsetzung für den Berliner Wahlkampf hat die AfD nicht formuliert. Es ging offenbar nicht darum, stärkste Oppositionskraft zu werden und auch die allbekannte träumerische Illusion von „bürgerlichen Mehrheiten“ wurde in einigen Plakatdarstellungen, die sich explizit gegen die CDU richteten, bereits konterkariert. Das Ziel konnte daher nur lauten: Protestwählerschaft in Ostberlin halten und möglichst breit ausmobilisieren und im Westen vereinzelte unzufriedene konservative Milieus gewinnen. Gewiss gäbe es noch mehr strategische Faktoren, die man bei der Gestaltung und Organisation einer AfD-Kampagne in Berlin berücksichtigen könnte. Doch die geographische Dimension bleibt auch angesichts der Wahlergebnisse von 2016 ein entscheidender Orientierungsanker und scheint nicht nur in den Flächenländern der Republik eine Rolle zu spielen.

Inhaltliche Schwerpunkte

Während im Bundestagswahlkampf das abstrakte Thema des Klimaschutzes dominiert, liegt in Berlin das Thema „Mieten und Wohnen“ mit deutlichem Abstand zu allen anderen Themen weit vorne. Insbesondere die Debatte um die Enteignung der Deutsche Wohnen & Co. prägt die Positionierungen und Debatten der einzelnen Parteien. Es ist ein Thema, welches jedermann betrifft, der sich noch nicht mit seiner Penthouse-Eigentumswohnung in Berlin-Mitte abgesichert hat und viel Potential für gut erzählte sozialpolitische Narrative bietet.

Einen offensiven programmatischen Aufschlag macht die AfD zu dem Thema nicht. Sie weiß aber sehr wohl den großen Blindfleck in der Debatte anzusprechen, nämlich dass der Wohnungsmangel mit steigenden Mieten einhergeht, welcher wiederrum in enger Kausalität mit dem stetigen Zuzug nach Berlin steht. Geschickt deckt die AfD dabei die Heuchelei rund um die „Wir haben Platz“-Kampagne auf, die sich für die verstärkte Aufnahme von Migranten aus Nordafrika und dem arabischen Raum einsetzt und verdeutlicht gleichermaßen, dass die Wohnraumversorgung in erster Linie den „hier länger Lebenden“ dienen sollte.

Die AfD beschränkt sich beim Thema „Wohnen und Miete“ darauf, eine reaktive Position zu den Enteignungsfantasien der linken Parteien einzunehmen. Als eigene Subkampagne mit eigenem Positionspapier, exklusiven Plakaten und medialen Akzenten hätte dieses Thema viel Potential gehabt, so aber blieb der Landesverband recht defensiv. Es zeigt sich einmal mehr die Unsicherheit innerhalb der AfD und die Unfähigkeit, aufgrund ungeklärter interner Lagerkonflikte mit eigenständigen sozialpolitischen Konzepten zu punkten.

Hinter dem Thema „Wohnen und Miete“ folgt direkt die Innere Sicherheit als wichtiges Thema für die Berliner Wähler. Ein AfD-Klassiker möchte man meinen, der allerdings auch in der Kampagne der Berliner CDU viel Raum einnimmt und in der kommunikativen Profilierung nur wenig originell wirkt. Wesentlich mehr Raum nehmen in der AfD-Kampagne recht berlin-spezifische Themen zu Verkehrspolitik, Infrastruktur und Verwaltung ein. Auch der Bildungspolitik kommt erhöhte Aufmerksamkeit zuteil. Hier ist die Partei bemüht, sich ein stärkeres Kompetenzprofil zu verpassen und nutzt dabei auch die gesammelten Erfahrungen der letzten Abgeordnetenhausfraktion.
Eine messbare Wirkung in den Umfragen zu den Kompetenzwerten widerspiegelt sich aus dieser Themenabschöpfung jedoch noch nicht und wie auch bundesweit steht die Partei in Berlin vor der großen Herausforderung, aus der Position der Protestpartei heraus fachpolitische Anerkennung, Vertrauen und Problemlösungskompetenz beim Wähler zu gewinnen.

Performance und Organisation

AfD-Wahlkämpfe in den urbanen Zentren sind erfahrungsgemäß schwer und auch gefährlich für die engagierten Mitglieder und Helfer. Überfälle und Sabotageakte gehören zur Tagesordnung und zerrten vor allem zu Beginn des Wahlkampfes an den personellen und materiellen Kräften. Dennoch hat der Landesverband in der Gesamtbetrachtung medial und analog eine solide Kampagne auf die Beine gestellt. Mit 500.000€ Wahlkampfbudget kann die AfD auf deutlich weniger finanzielle Mittel zurückgreifen als andere Parteien. Die Linkspartei ist mit einem dreifach höheren Budget in ihre Kampagne gestartet und SPD, Grüne und CDU arbeiten mit Budgets von deutlich über 2 Millionen Euro.

Dass die AfD deutlich sparsamer mit ihren Wahlkampfressourcen arbeitet, zeigt sich nicht nur an der geringeren Anzahl von Werbeplakaten, sondern auch am geringen Einsatz bezahlter Werbung und Anzeigen in den sozialen Netzwerken. In der Facebook-Werbebibliothek findet sich über den gesamten Verlauf des Wahlkampfes hinweg keine einzige Werbeanzeige und auch in den Google-Transparenzberichten werden nur vier kleinere Bewerbungen des Werbespots zur Abgeordnetenhauswahl aufgeführt.

Die generelle Social-Media-Strategie setzt vollumfänglich auf die Plattform Facebook und nutzt dabei insbesondere die Stärke der organischen Reichweiten für die AfD, womit sie sich nach wie vor auch ohne großen bezahlten Werbemitteleinsatz von der Konkurrenz absetzen kann. Ihr entgeht durch diesen Budgeteinsatzverzicht die Möglichkeit, zielgerichtet und detailliert ausgewählte Zielgruppen anzusprechen. Auf Instagram ist der Landesverband bisher gar nicht präsent.

Auf YouTube sind über den Verlauf der Wahlkampagne gerade einmal drei Videos auf zwei unterschiedlichen Kanälen veröffentlicht worden. Wir haben auf unserem Blog bereits die Stärken und Möglichkeiten von Videoformaten ausgiebig besprochen. Hier lässt die AfD, wie auch schon in anderen Bundesländerwahlkämpfen, viel Potential liegen. Das bedeutet nicht, dass die Berliner AfD keine Videos produzieren würde. Man kann sogar sagen, dass es kaum einen Landesverband gibt, der hinsichtlich der Frequenz und der visuellen Qualität derartig professionell das Videoformat bespielt-allerdings eben nur beschränkt auf Facebook, was man im besten Sinne vielleicht noch als „ressourcensparend“ bezeichnen könnte.

Möglicherweise liegt die strategisch-zentrale Fokussierung auf Facebook aber auch darin begründet, dass man medial auf eine möglichst breite Diversifizierung in den Mainstreammedien setzt. Die Spitzenkandidatin Dr. Kirstin Brinker ist in nahezu allen Medien präsent und tritt dort meist auch souverän als ruhige und sympathische Frontfrau des Landesverbandes auf. Erst im März setzte sie sich gegen die prominente Gegenkandidatin und das Berliner AfD-Gesicht Beatrix von Storch bei der Wahl zur Landesvorsitzenden durch und hat es auch trotz vieler Vorbehalte ihrer parteiinternen Kritiker innerhalb kürzester Zeit geschafft, den Landesverband zu einen und organisatorisch auf die Abgeordnetenhauswahl vorzubereiten. Bis dato war sie eine gänzlich unbekannte Kandidatin, die aber vor allem in der heißen Wahlkampfphase wie ein Tausendsassa an allen Wahlkampffronten kämpfte, jeden möglichen Medienauftritt mitnahm und auch an den Infoständen mit den Bürgern permanent im Gespräch war.

Die Rolle der Jungen Alternative

Neben der konventionellen Kampagne des Landesverbandes setzte auch die Junge Alternative in Berlin eigene Akzente, die wir in einem früheren Beitrag bereits thematisiert haben. In Berlin zeigt sich, wie die Einbindung der Parteijugend in die Mutterpartei gelingen kann. Die JA wird nicht nur als personelle Zugriffsmasse gesehen, die für das Hängen von Plakaten und für Flyerverteilungen zur Verfügung steht, sondern hier wurden junge Leute aktiv in die visuelle und kommunikative Gestaltung mit eingebunden und konnten so in ihren spezifischen Zielgruppen wirken. Möglicherweise begreifen irgendwann auch andere AfD-Landesverbände, wie die JA auch als politisches Innovationslabor und Kreativschmiede genutzt werden kann und überwinden die in manchen Verbänden leider noch vorhandene Altersarroganz. Das Beispiel Berlin zeigt wieder einmal, dass die JA in der personellen Neustrukturierung der AfD nach der Wahl auch auf Bundesebene einen stärkeren Einfluss für sich geltend machen sollte.

Visualität und Tonalität

Visuell fügt sich die Berliner AfD-Kampagne in die große Bundestagswahlkampagne ein und modifiziert ihre Werbemittel lediglich mit dem Slogan „Berlin. Aber normal“ und dem Stadtwappen, dem Berliner Bär. Bei den Kleinplakaten liegt der Fokus eindeutig auf der Botschaft, was sich an der hervorstechenden Typographie erkennen lässt, die beinahe die volle Plakatfläche einnimmt und gerade so noch genügend atmenden Weißraum zulässt.

Die Slogans versuchen meist einen direkten Bezug zum Leitbegriff der „Normalität“ in der bundesweiten Kampagne herzustellen. Mit Slogans wie „Die Polizei ist zum Schützen da“, „Schulen sind zum Lernen da“ oder „Ämter sind zum Helfen da“ kommuniziert man zwar ziemlich offensichtliche Banalitäten, die aber bei der Zielgruppe Diskrepanz hervorrufen dürften angesichts des beobachtbaren Verfalls und der zunehmenden Unfähigkeit einst geachteter Institutionen.
Der Subtext der drei exemplarisch angeführten Slogans lautet: „Schulen von linken Ideologieexperimenten befreien“, „Polizei wieder auf ihre originäre Aufgabe der Verbrechensbekämpfung funktionalisieren“ und „Ämter entbürokratisieren und nahbarer für den Bürger gestalten“. Für alle, die gegenüber diesen angesprochenen Institutionen bereits entsprechende Erfahrungen gemacht haben, kann dies durchaus ansprechend sein. Für Zufriedene, Unentschlossene und AfD-Gegner bleiben die Slogans jedoch tatsächlich banal.

Die Großflächenplakate arbeiten mit ansprechenden typographischen Asymmetrien, mit kursiven, dynamischen Schriftschnitt und fotografischen Vollbildern mit dialogischen Slogans in Frageform, die den Betrachter direkt einladen, über die Fragen zu reflektieren und für sich zu beantworten. Dies schafft unmittelbare Identifikationsflächen und hebt sich auch von den konventionellen Standardclaims der anderen Parteien ab.

Der Wahlwerbespot

Mit klassischer Hintergrundmusik und beruhigten Bildern aus dem Berliner Stadtleben bildet auch der Werbespot der Kampagne die teils banale und auch defensive Sehnsucht nach der Alltagsnormalität ab und thematisiert alles was den normalen Berliner in seiner Stadt nervt. Berlin wird dabei direkt von der Sprecherstimme aus dem Off personalisiert adressiert. Empathisch versucht der Spot dabei, die Berliner Mentalität des Verrückten und etwas Extravaganten einzufangen, um dann vor allem den Exzess und die Übertreibung dieser Eigenschaften indirekt zu kritisieren. Das alles gewürzt mit leichten Prisen von Ironie und Humor und der klassischen Berliner Mundart beim Sprecher. Optisch und visuell wirkt der Spot solide.

Auch das Storytelling versucht das Berliner Lebensgefühl authentisch abzubilden, wenngleich wie auch schon in der Bundestagswahlkampagne die große Frage im Raum steht, ob dieser kommunikative Ansatz für eine exklusive Oppositionskraft etwas zu bieder, harmonieorientiert und zurückhaltend wirkt. Das zeigt sich auch in der Wahl der Hintergrundmusik, die schon im Einstieg nicht gerade erhebende Aufbruchsgefühle auslöst und den Spot in einer Art plätschernden Atmosphäre durch die restlichen anderthalb Minuten trägt. Zusammenfassend könnte man daher sagen, dass der Spot optisch, bildtechnisch und erzählerisch gelungen ist aber atmosphärisch wenig mitreißend und mobilisierend sein dürfte.

Fazit:

Grundsätzlich kann man die Organisation und Gestaltung der Berliner AfD-Kampagne als gelungen bezeichnen. Sowohl die Visualität als auch die Slogans und die personelle Inszenierung der Spitzenkandidatin sind handwerklich sauber gemacht. Kritikwürdig ist hingegen die Schwerpunktsetzung im digitalen Bereich und die geographische Akzentuierung zwischen den Ost- und Westbezirken der Stadt. Möglicherweise wurden bei Letzterem falsche oder unzureichende Schlüsse in der Zielgruppenanalyse getroffen, was einmal mehr unterstreicht, wie wichtig auch die Kenntnis über das Kernmilieu und die realen Wählerpotentiale in den konkreten gesellschaftlichen und politischen Stimmungslagen in Zukunft sein wird.

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