Einschätzungen, Prognose und Einordnungen zum Wahlkampf und der Ausgangslage der kommenden Berlin-Wahl 2023 aus Sicht der Alternative für Deutschland.
Am heutigen Sonntag findet die Wiederholung der Berliner Abgeordnetenhauswahl statt. Der erste größere politische Stimmungstest im Jahr 2023. Wir wagen eine Prognose und blicken auf den Wahlkampf, mit besonderem Fokus auf die AfD. Unsere Nachwahlanalyse folgt dann wie gewohnt am Montag-Abend auf dem Netztagebuch der Sezession.
Am 16. November erklärte das Berliner Verfassungsgericht die vergangene Abgeordnetenhauswahl 2021 für ungültig. Nach der Entscheidung war klar, dass die Wahl innerhalb von 90 Tagen wiederholt werden müsse. Tendenziell also wenig Zeit für intensive Wahlkampf- und Kampagnenvorbereitungen. Innerhalb von nur wenigen Wochen mussten die Parteien visuelle und stilistische Konzepte erarbeiten, Schwerpunktthemen identifizieren, Slogans und eine strategische Grundlage für ihren Wahlkampf schaffen. Ein Wahlkampf also, der in dieser kurzen Vorbereitungszeit auch die Funktionalität der Parteiapparate und ihre Organisationsstrukturen vor eine enorme Belastungsprobe stellt. Somit kann die Qualität der Kampagnen durchaus auch von politisch-infrastruktureller Stärker und Flexibilität abhängen.
Kurz nach Verkündung der Wiederholungswahl waren in den Umfragen die Koalitionsmehrheiten einer Rot-Rot-Grünen Regierung noch ziemlich klar zu erkennen. Die Zufriedenheitswerte mit der Senatsregierung liegen in Berlin traditionell auf einem niedrigen Niveau, aber ernsthafte Abwahlgefahr für die regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey war im November noch nicht zu erkennen. Die AfD konnte im Vergleich zu dem Bundestrend und anderen Ländern in Berlin nur leicht wachsen. In den meisten Bundesländern konnte die Partei im November teilweise in den Umfragen auf bis zu +7% anwachsen. Im Bund durchbrach man den 10-12% Korridor und konnte sich zwischen 14-15% festsetzen. In der Hauptstadt konnte man sich nach den katastrophalen Verlusten von 2021 nur leicht erholen und zumindest wieder an die Zweistelligkeit anknüpfen. Ein Ergebnis wie 2016 mit 14% scheint gegenwärtig in Berlin keine Potentialbasis zu haben. Dafür gibt es meiner Ansicht nach zwei entscheidende Gründe.
Nummer 01
Die Täuschungsmanöver der CDU.
Der Leidensdruck und die Unzufriedenheit der Berliner ist groß. Innerhalb dieser Stadt sind zwei völlig unterschiedliche Lebenswelten entstanden. Auf der einen Seite das linke „juste milieu“ im Stadtzentrum, welches den Prototypen der zugezogenen urbanen Lifestylemetropole mit Chai Latte aus dem Starbucks Cafe, Co-Working Place und Yogakurs prägt, und auf der anderen Seite das Berlin in den Außenbezirken, die mit genau dieser Kultur fremdeln und sich zumindest ein Minimum an funktionierender städtischer Infrastruktur und Alltagsnormalität sehnen. Man könnte diesen Typus auch als jene beschrieben, die eine gewisse Hassliebe zu ihrer eigenen Heimatstadt aufgebaut haben. Sie wollen das „alte Berlin“ zurückhaben und blicken gleichzeitig mit Unverständnis und Abscheu auf die Fehlentwicklungen der letzten Jahre. Sie haben als teilweise verbliebende Urberliner – die sich den Absprung in den Brandenburger Speckgürtel noch nicht leisten konnten – eine empfindliche Sensorik für die Transformationen der letzten Jahre herausgebildet.
Um genau dieses Wählerklientel haben im jetzt zurückliegenden Wahlkampf vor allem CDU und AfD am stärksten konkurriert. Insbesondere die CDU hat ihre Kampagne von vornherein sehr konfrontativ gegenüber Rot-Rot-Grün angelegt und auf den letzten Metern kommunikativ den Anspruch an den Regierungswechsel deutlich gemacht. Der Wahlwerbespot sprach einerseits positive Heimatgefühle und attackierte zugleich die vielen Dysfunktionalitäten in der Stadt. Ideal für die ambivalente Gefühlslage aus der Zielgruppe der „Hassliebenden“. In der letzten Infratest DIMAP Befragung zeigt sich, dass sowohl CDU- und AfD-Anhänger die größte Unzufriedenheit mit dem Berliner Senat aufweisen und sich damit deutlich von der restlichen Wählerschaft abgrenzen.
Wenn also CDU und AfD im vermutlich gleichen Potentialraum agieren und sich daran auch eine gewisse Wechselsehnsucht anknüpft, dann entscheiden sich die Wähler womöglich für jene Partei, die noch am ehesten eine realistische Machtperspektive hat.
Dass die CDU für solche Täuschungen bekannt ist und sich in der Regierung schnell dem linken Druck beugen wird, steht dabei auf einem ganz anderen Papier. Entscheidend sind hier Wählerwahrnehmungen und Wahlmotivationen.
Gerade die Silvesternacht in Neukölln hat gezeigt, dass die AfD trotz eines für sie günstigen Diskursklimas nur kurzfristig profitieren konnte. Während für die CDU nach dem Jahreswechsel der Umfragenbooster so richtig gezündet wurde und sie sich dauerhaft bei über 20% festsetzen konnte, machte die AfD nur einen kurzweiligen kleinen Sprung auf 12% und fiel dann schnell wieder auf 10% zurück. Eigentlich waren sich viele sicher, dass nach der Neuköllner Silvesternacht der restliche Wahlkampf für die AfD zum Heimspiel wird und sich dies auch in den Umfragen für die bemerkbar macht. Doch mit Anfragen im Senat zu den Vornamen der Tatverdächtigen, war es tatsächlich die CDU, die das Thema zunächst dominieren und nachhaltiger profitieren konnte.
Nummer 02
Sinkendes Potential und veränderte Sozialstruktur in den nord- und südöstlichen Randbezirken.
2016 wurde die AfD in vielen Wahlbezirken von den Stadtteilen Pankow und Treptow-Köpenick noch stärkste Kraft. 2021 blieben die Hochburgen nur noch in Berlin-Marzahn. Der Berliner Osten ist das Mobilisierungszentrum für die AfD. Doch auch dort sind in den letzten Jahren strukturelle Veränderungen erkennbar. Das Leben im Stadtzentrum und innerhalb des S-Bahnrings wird auch für manche grüne Wohlstandsmilieus zu teuer, sodass auch sie gezwungen sind sich in den Außenbezirken niederzulassen. Schon jetzt plant die Stadt bis 2030 mit 80% neuer Wohnflächen in der Stadtperipherie. Dies hat bspw. in Treptow-Köpenick in den letzten Jahren auch einem enormen Gentrifizierungsprozess Vorschub geleistet. Wenn sich jedoch auch das Wohnumfeld der Menschen, die in die Außenbezirke ziehen verändert, so bleibt das Wahlverhalten jedoch meist noch gleich, wovon schließlich linke Parteien profitieren. Für die AfD schmilzt dabei jedoch ein entscheidendes Mobilisierungspotential zusammen.
Es hat also einerseits strukturelle als auch lagebedingte Gründe, weshalb die AfD in den letzten Wochen nicht den vielleicht erhofften starken Auftrieb aus dem Bundestrend mit den Berliner Wahlkampf nehmen konnte.
Der AfD-Kampagne selbst kann hierbei nur schwerlich ein Vorwurf gemacht werden. Über die Lage vor Ort habe ich keinen Einblick. In dem was jedoch wahrzunehmen ist, war die Kampagne definitiv eine der besseren im Vergleich zu vergangenen AfD-Wahlkämpfen. Eine attraktive und ästhetische Inszenierung der Spitzenkandidatin mit sympathischer Ausstrahlung und frischer Schwarz-Weiß Optik. Eine gute und moderne visuelle Aufmachung und Konzeption der Wahlplakate. Flexibles Reaktionsmanagement auf aktuelle Themenlagen und Ereignisse im Wahlkampf (nur eine Woche nach den Silvesterkrawallen standen AfD-Großflächenplakate, wo die Neuköllner Silvesternacht aufgegriffen wurde) und auch erstmals eine wirklich gelungene und professionelle digitale Kampagnenführung, die Werbeausgaben nicht nur verbrannte sondern sinnvoll und effektiv targetierte. Generell verfolgte der Landesverband eine durchdachte crossmediale Digitalstrategie, die Videoformate und Kacheln in eine gleichmäßige Balance brachte. Kein langweiliger Programmfetischismus, keine lustlosen und inhaltlich banalen „Sharepics“.
Natürlich wird auch diese AfD-Wahlkampagne Optimierungspotential gehabt haben und insbesondere zu dem Hauptslogan „Hart aber gerecht“ gibt es sicherlich Pro- und Contra Argumente. Für die Kürze der Vorbereitungszeit hat dieser Wahlkampf jedoch einen Mindeststandard gesetzt, an dem sich künftig auch weitere Verbände orientieren können.
Das Wahlziel der AfD ist klar auf ein zweistelliges Ergebnis gesetzt. Ob sich dies eher an den letzten Umfragen einpendeln wird oder möglicherweise nochmals etwas Schub aus den letzten Ergebnissen im Bundestrend bekommt ist noch offen.