Auch die aktuelle Energie- und Inflationskrise scheint die Umfrage- und Zustimmungswerte der Grünen nicht zu schmälern. Woher kommt dieser rasante Aufstieg der letzten Jahre in der Wählergunst für die Grünen? Welche soziale Basis trägt diese Partei und welche Lehren kann das rechtskonservative aus diesen Entwicklungen ziehen?
Ahnungslosigkeit, ideologische Arroganz und Dilettantismus. Dies sind nur einige von vielen Negativattribute, mit denen die Grüne hauptsächlich innerhalb rechtskonservativer Akteure und Bürger beschrieben werden. Die Performance der aktuellen Bundesregierung wird maßgeblich von den beiden grünen Aushängeschildern Robert Habeck und Annalena Baerbock dominiert. Trotz wachsender Unzufriedenheit können sich die Beliebtheitswerte der beiden als aber auch die Umfrageergebnisse ihrer Partei auf hohem Niveau halten. Schaut man auf die reinen Zahlen sind die Grünen längst zur dritten Volkspartei der Bundesrepublik aufgestiegen. Umfragewerte im 20 % Bereich, mit einem ähnlich hohen „erweiterten Potential“ und Regierungsbeteiligungen im Bund sowie sieben Bundesländern lassen jene, die die Grünen fundamental ablehnen, ratlos zurück.
Wie kann es sein, dass eine Partei, die mit ihrer ökologischen Transformationspolitik den Wohlstand von Millionen Bundesbürgern bedroht, dennoch so stark bleibt? Warum finden die Grünen trotz ihrer Agenda des linken Kulturkampfes gegen die Familie, Heimat und Identität immer noch ein Wählerreservoir, dass es ihnen ermöglicht genügend politisches Gewicht in die Waagschalen zu werfen, um Regierungsmehrheiten zu stellen? Ist es wirklich nur eine allgemeine gesellschaftliche Infantilisierung? Sind es irrationale Wähler, die nicht in der Lage sind, katastrophale Zukunftsentwicklungen vernunftgeleitet zu antizipieren?
Das rechtskonservative Lager macht es sich zu einfach, wenn es glaubt, dass die Grünen lediglich die Klientel einer verzogenen Jugend und wohlstandsverwahrlosten Dauerstudenten abbilden. Stereotype mögen immer auch einen zentralen Wahrheitskern enthalten, aber eine sachliche und schonungslose Gegneranalyse erfordert eben mehr als nur einen Katalog von platten Zuschreibungen und Zerrbildern. Wählermilieus sind meist sozial komplex und multidimensional strukturiert. Reine Rationalitätskriterien oder standardisierte Erklärungsmodelle reichen hier nicht aus, um ernsthafte Verständniszugänge zu erhalten.
Der Aufstieg
Bis zum Aufkommen der AfD waren die Grünen das interessanteste Parteiphänomen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Geboren aus den politischen Nachwehen der 68er-Bewegung formierten sich die unterschiedlichsten sozialen Strömungen und ersten Ausläufer der Frauen-Umwelt und Friedensbewegung zu einem gemeinsamen parteipolitischen Strang.
Schon in der BRD der 70er-Jahre wurde schnell klar, dass das etablierte System gesellschaftliche Erregungswellen von der Straße zuverlässig abfangen konnte. Der ausgesetzte Samen der Studentenproteste Ende der 60er-Jahre benötigte ein langfristiges Vehikel, in dem er die eigenen inhaltlichen Botschaften und Erneuerungsziele in eine bestandsfähige und robuste politische Kultur übersetzten und erweitern konnte. Für manche folgte die Zuspitzung der aufgeworfenen gesellschaftlichen Konflikte über eine linke Selbstradikalisierung, die schließlich im RAF-Terror mündete. Für andere galt es ein eigenständiges Generationenprojekt einer „Neuen Linken“ aufzubauen, die sich zumindest im Stil und Habitus von ihren dogmatischen kommunistisch-sozialistischen Vorläufern abheben wollte.
Ein neues postmaterielles Wertemilieu, was sich aus den ersten Hippie-Kommunen speiste, konnte somit einen erstmaligen kulturellen Gegenentwurf zum Überdruss zur materialistischen Mentalität der bundesdeutschen Wirtschaftswunderwelt aufbauen. Es war vorrangig dieses avantgardistische und alternative Basis-Milieu aus Kneipen, Wohngemeinschaften, Jugendzentren und Universitätsgemeinschaften, in denen neue Gesellschaftsentwürfe skizziert und vorgedacht wurden und mittels eines parteipolitischen Arms der Grünen in die öffentlichen Diskurse transportiert werden konnten. Diese zweite alternative Kultur als Gegenbild zur Elterngeneration hatte eine enorme Ausstrahlungswirkung.
Die Grünen sind eine Partei, die nicht aus einem kurzfristigen Thementrend oder einer Repräsentationslücke erwachsen ist, welche vom etablierten Parteienspektrum vernachlässigt oder aufgegeben wurde. Die Lebenswelt des frühen grünen Milieus ließ sich nur schwer über die verfügbaren ideologischen Koordinatensysteme des bundesdeutschen Parteiensystems erfassen. Klar, linksorientiert, aber keineswegs die traditionelle Arbeiterlinke.
Die Ideologeme der klassenkämpferischen Verteilungskämpfe und ihrem Schwerpunkt auf ökonomische Perspektiven wichen neuen Konfliktlinien über gesellschaftliche Wertorientierungen und sozialmoralische Einstellungsmuster. Die Grünen sind demnach schon von Beginn an als ein organisches gesellschaftliches Milieu gewachsen und konnten von diesem Bezugsort auch in die bürgerlichen Mittelschichten expandieren. Dadurch werden die Grünen auch häufig als politisches Generationenprojekt verstanden, welche ihr frühes Kernmilieu weitgehend halten konnten und zugleich innerhalb der jüngeren Alterskohorten immer ein attraktiver Anziehungspunkt für progressive Ideologien blieb. Die postmateriellen Ursprungswerte der Selbstentfaltung, Hedonismus, Individualismus, ökologisches Bewusstsein und Diversität konnten sich schnell von ihrer sozialen Nischenrepräsentation, bis heute tief in den gesellschaftlichen Mainstream eingraben.
Schon in den Anfangsjahren und den ersten Wahlerfolgen der Grünen kristallisierte sich ein wohlhabendes und akademisches Mittelschichtsmilieu heraus, welches heute gewachsen und gefestigt innerhalb der politischen und kulturellen Schlüsselpositionen agiert und die Grünen mit den großen Volksparteien konkurrenzfähig macht.
In ihrer Gründungsphase prognostizierten Wahlforscher den Grünen keine lange politische Halbwertszeit. Die bereits über 25 Jahre geformte und stabilisierte Parteienkonfiguration aus CDU, SPD und der FDP als Mehrheitsbeschaffer, deckte die große Masse aller gesellschaftlichen Spektren und Interessengruppen zuverlässig ab. Die gesellschaftlichen Konfliktachsen beschränkten auf ihren konfessionellen und ökonomischen Rahmen. Das Aufkommen der Grünen wurde daher eher als ein nachwirkender politischer Impuls der Studentenproteste gewertet, der aber die Bastionen des etablierten Parteiengebildes nicht ernsthaft attackieren konnte. Die „stille Revolution“ (Inglehart) des Wertewandels, die sich langsam in die politische Mentalität der bundesdeutschen Gesellschaft einzuschreiben versuchte, zeichnete sich für die damaligen Beobachter nur in Grundzügen ab.
In ihrer ersten Mobilisierungswelle Anfang der 80er-Jahre konnten Demoskopen feststellen, dass die Grünen vor allem in sozialen Gruppen der Nicht-Erwerbstätigen, sowie Menschen in Ausbildung ihre Kernwählerschaft schöpfen konnten. Dies lässt jedoch kaum den Schluss zu, dass die Partei ein Phänomen des deklassierten Prekariats gewesen ist. Schon der signifikante Anteil der höheren Bildungsabschlüsse machte deutlich, dass die Grünen ihre ersten Wahlerfolge auch der aufkommenden Bildungsrevolution im Land zu verdanken hatten.
Der erste Wachstumsschub von Abitur- und Universitätsabsolventen in Kombination mit neuen sozialen und moralischen Werteprioritäten brachte schließlich auch einen Statuskampf um die gesellschaftliche Anerkennung jener Jungakademikermilieus mit sich. Diese soziale Gruppe mag in ihrer frühen Ausbildungsphase eher dem unteren Einkommensspektrum zuzuordnen zu sein. Mittelfristig erhielt die grüne Kernanhängerschaft jedoch auch Zugang in die elitären Kreise und konnte somit ihre Themen diskursfähig machen und kulturell und politisch multiplizieren.
Der Demoskop Manfred Güllner zeichnete das Bild der grünen Kernanhängerschaft einmal als die „Rebellion der wohlstandsgesicherten Bürgersöhnchen gegen ihre Bürgerväter“. Dies beschreibt den sozialen Rahmen des grünen Milieus recht plastisch. Es ist der Aufstand einer gut situierten Bürger- und Mittelstandsklasse gegen die Leitbilder ihrer Vorgängergeneration. Ein Aufstand, der jedoch vom Schutzmantel der zumindest ökonomischen Absicherung umgeben ist.
Statt in materielle Statussymbole investiert der typologische Grünen-Wähler eher sein Geld in das nächste Yoga-Seminar, den Wanderurlaub oder die „energieausgleichende“ Wohnungseinrichtung. Der Grünen-Wähler mag im gleichen bürgerlichen Kosmos wie der CDU- oder AfD-Wähler leben. Sie buchen die gleichen Flugreisen, gehen in die gleichen Restaurants, schicken ihre Kinder in die gleichen Schulen. Und doch zeigen sich teils erhebliche Unterschiede in den sonstigen Werteinstellungen, Lebensphilosophien und eben der Parteineigung.
„Inzwischen wissen wir, dass er grün weiterwählt, obwohl er einen ganz bürgerlichen Lebensstil hat. Er fährt wahrscheinlich die gleiche Automarke wie sein Vater, ist im Lions Club – aber er wählt nach wie vor grün.“ (Manfred Güllner – Forsa Institut)
Die Grünen legten in ihrer Anfangsphase keinen Raketenaufstieg hin, der bspw. mit der AfD vergleichbar wäre. Beim ersten Antritt zu einer Bundestagswahl 1980 scheiterte die Partei noch recht deutlich mit 1,5 % am Einzug in den Bonner Reichstag. Drei Jahre später gelang der Ersteinzug mit knappen 5,6 %. Dies war sicher keine überzogene Überraschung, aber dennoch ein politisches Ausrufezeichen.
Das reine elektorale Repräsentationsdefizit konnten die Grünen jedoch schon immer durch geschicktes Agenda-Setting und günstige gesellschaftliche Themen- und Diskursbedingungen ausgleichen. Die CDU versuchte ab den 80er-Jahren die Tradition des konservativen Umweltschutzes wiederzuentdecken und konzentrierte sich in der strategischen Wahlkampfplanung wieder stärker auf die urbanen Groß- und Universitätsstädte. 1986 gründete sich das Bundesumweltministerium. Ereignisse wie die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl gaben den Grünen kontinuierliche Themennahrung, um ihren öffentlichen Resonanzraum zu erweitern.
Umwelt- und Klimaschutzthemen hatten zwar nie eine lineare Aufstiegsentwicklung in der gesellschaftlichen Relevanz. Doch das Aufkommen der Grünen zeigt zumindest eine erhöhte Sensibilität für dieses Thema, welches schließlich als Proxy auch auf weitere wahrgenommene Probleme ein neues Perspektivfeld eröffnete. Somit kann hier statt eines Paradigmenwechsels vielmehr von einer Paradigmenerweiterung gesprochen werden.
Wirtschaftswachstum und ökonomische Stabilität wurden in Einheit mit der ökologischen Verträglichkeit gedacht. Elementare Grundwerte wie Freiheit und Selbstbestimmung entkoppelten sich von ihrer reinen materiellen Wohlstandsebene und wurden so auch zu Fragen von Lebensstilorientierungen, moralischen Einstellungen und kollektiven Mentalitäten. Die gesellschaftliche Pflicht- und Akzeptanzorientierung wich der sogenannten „Entfaltungsorientierung“, die sich parteipolitisch im Bild der Grünen verkörperte. Durch die Fragmentierung dieser Wertegerüste wurde schließlich auch der Wählermarkt flexibler und beweglicher. Klassische Parteibindungen lösten sich auf und soziale Orientierungsanker wurden fluider.
Bei der Bundestagswahl 1987 konnten die Grünen ihr Ergebnis auf 8,3 % ausbauen. Schon damals und bis heute bleibt jedoch die Frage der Nachhaltigkeit und weiteren Wachstumsperspektiven innerhalb der grünen Wählerklientel. Bis 2009 blieben die bundesweiten Ergebnisse stets im einstelligen Bereich und die Grünen waren innerhalb ihres harten Wählerkerns verbunkert, auch wenn man in den Großstadtregionen oder anderen Schwerpunktregionen wie Baden-Württemberg kontinuierlich wachsen und Strukturen ausbauen konnte.
Die entscheidende Frage der Demoskopen lautete immer, ob vor allem die starke Anhängerschaft unter Jungwählern einerseits im Verlauf ihrer weiteren Lebenszyklen ideologisch gefestigt bleibt und die Attraktivität und Mobilisierungskraft unter neu heranwachsenden jungen Alterskohorten gehalten werden kann. Das heißt, ob der Student der 80er-Jahre in seinen unterschiedlichen Lebensetappen mit dem Eintritt ins Berufsleben, Familiengründung und andere individuelle Verpflichtungen weiterhin eine hohe Parteibindung zu den Grünen aufweist und gleichzeitig ein beständiger Erneuerungspool an Jungwählern, das mobilisierbare Gesamtpotential der Grünen stetig anwachsen lässt. Wenn wir also ganz vereinfacht von den klassischen politischen Sozialisationsprozessen ausgehen, die auch über die Prägung des Elternhauses erfolgen, so müsste sich der erste signifikante Wachstumseffekt des grünen Wählerpotentials mit einer Zeitverzögerung von 20 bis 25 Jahren zeigen, die ihren Ursprung in der ersten Welle der „Verbürgerlichung“ des grünen Ausgangsmilieus in den 90er-Jahren hatte. Die Studenten der 68er-Protestgeneration drängen als Entscheider in die Verwaltungsstuben, werden Führungskräfte und sind fortan die neue Elite im Kultur- und Bildungsbetrieb, deren Kinder schließlich als neue Wählermasse für die Grünen nachwachsen.
Mit dem heutigen Stand 2022 können wir mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass diese übergenerationale Wählerbindung den Grünen gelungen ist. Insbesondere die 2010er-Jahre markieren in allen Parteibindungsindikatoren einen Aufstiegstrend, der deutlich macht, dass der zunächst stille und bis dahin noch recht unscheinbare Einbruch in die bürgerlichen Mittelschichten von 1980 bis 2000, sich nun in einer offensichtlichen Etablierung auf hohem Niveau niederschlägt.
Die Grünen sind in der deutschen Parteienlandschaft final angekommen und sie sind immer noch die Thementreiber in der Umwelt- und Klimadebatte sowie allen Entwicklungen des gesellschaftlichen Progressivismus. Ihre anspruchsvolle Basis und Kernwählerschaft hat sich mit der pragmatischen Bündnis- und Koalitionspolitik inzwischen abgefunden. Die Grünen können heute taktisch sicher und souverän zwischen ihrem linksideologischen Idealismus der frühen Jahre und den Herausforderungen und Zwängen von Regierungspolitik moderieren und ausgleichen.
Die „Fundi-Realo“ Konflikte der späten 80er und 90er-Jahre gehören längst der Vergangenheit an. Heute haben die Grünen ein derart hohes Vertrauenskapital in der deutschen Wählerschaft aufgebaut, dass auch stärkere Wechselströme und Wanderungsbewegungen zwischen dem Unionslager und den Grünen keine Seltenheit mehr sind. Schwarz-Grüne Regierungsprojekte gehören ohnehin schon seit Längerem zur politischen Realität in Deutschland. Auch wenn die Grünen, wie auch bei der Bundestagswahl 2021 im entscheidenden Moment eine eher schlechte Performance abliefern und dabei immer wieder taktisch hohe Fehlerquoten haben, bleibt das mittel- und langfristige Potential der Partei hoch. Die Partei hat somit eher ein Potentialausschöpfungs- als ein Potentialaufbauproblem. Wo frühere Beobachter den Grünen den Status einer „Ein-Generationen-Partei“ attestierten, scheint ihnen heute der Spagat über die verschiedenen Alterskohorten gelungen zu sein, sodass sich die demoskopische Basis der Partei mindestens im mittleren zweistelligen Bereich stabilisieren konnte.
Lehren für die AfD
Parallel zu den ersten größeren Erfolgen der AfD stieg auch die Wählerzustimmung und Sympathie für die Grünen im Umfrageverlauf. Zwischen den Grünen und der AfD zeigt sich heute die entscheidende polarisierte Form der ideologischen Antagonismen im deutschen Parteienspektrum. Auf der einen Seite die diversen, progressiven und offenen Weltverbesserer, die sich als Einwohner des großen globalen Dorfes verstehen und auf der anderen Seite die unzufriedenen und verwurzelten „Somewheres“, die bei den Versprechen nach Wohlstand und der materiellen Verwirklichung der bürgerlichen Träume keine Berücksichtigung mehr finden. Das postmaterielle Wertesystem konnte sich immer auch durch die sichere Gewährleistung der materiellen Bedürfnisstrukturen durchsetzen. Es sind die grünen Wählergruppen, die fern von den Auseinandersetzungen des ökonomischen Alltags leben.
Ob die Grünen auch innerhalb einer fundamentalen ökonomischen Krisendynamik bestehen können, die an die Substanz und Existenzen herangeht, wird sich erst noch zeigen müssen. Die Anhänger der AfD und den Grünen könnten jedenfalls nicht unterschiedlicher sein. Nicht nur vor dem Hintergrund der ideologischen Ausrichtung und Zuordnung innerhalb der politischen Koordinatensysteme, sondern auch im Hinblick auf die soziodemographischen Indikatoren. Grüne Anhänger leben urbaner, westdeutscher, haben höhere Bildungsabschlüsse und sind häufiger unter der Beamtenschaft vertreten. Alles Werte, die negativ mit der AfD-Wählerschaft korrelieren.
Die Wachstumsdynamiken im deutschen Wählermarkt werden sich also zwischen diesen Parteien zeigen, während Union und SPD vorwiegend auf ihre traditionelle Bestandswählerschaft in höheren Alterskohorten ab 60 Jahren bauen können. Die unterschiedlichen Lebenswelten der AfD- und Grünen Wählerschaften zeigen aktuell jedoch einen strukturellen Vorteil für die Grünen. Ihre Wirksamkeit und effiziente Mobilisierungsstärke innerhalb der akademisch- und urbanen Bildungseliten verschafften ihnen den Zugang zu den meinungsbildenden Korridoren der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit. Der kulturelle Einflussradius und die politische Organisationsfähigkeit eines Theaterintendanten, Journalisten oder Universitätsprofessors (grüne Kernklientel) dürften höher liegen als die eines Inhabers eines mittelständischen Betriebs oder normalen Facharbeiters (AfD-Kernklientel). Unter deutschen Start-Up Unternehmern würden laut Umfrage über 50,8% für die Grünen votieren. Somit hat die Partei auch mit dem früher verhassten Kapitalismus scheinbar ihren Frieden gefunden.
Die Grünen okkupieren die wichtigsten intellektuellen und ökonomischen Versorgungslinien, um die gesellschaftlichen Themen und Debatten stets in ihrem Sinne zu navigieren und dominieren. Hier hat die deutsche Rechte immer noch einige Defizite und wirkt im Aufbau intellektueller Zentren, Think-Tanks und der Skizze eines programmatischen Gegenentwurfs gegenüber dem herrschenden Zeitgeist immer noch recht unbeholfen.
Die Grünen sind ein einmaliges Phänomen der bundesrepublikanischen Parteiengeschichte, aus dem in der operativen Vorgehensweise auch die AfD und das rechte Lager einige lehrreiche Schlüsse ziehen kann. Die beiden Parteien haben natürlich völlig unterschiedliche Entstehungsbedingungen und Voraussetzungen gehabt. Wenn es jedoch um die Frage nach einem klugen Modell der langfristigen politischen Machtexpansion geht, scheinen die Grünen zumindest neben einer günstigen Gelegenheitsstruktur auch von ihrer lebensweltlichen Einbettung in die wohlhabende und elitäre Mittelschicht und der gleichzeitigen Balance zwischen der ideologischen Ursprungserzählung und der pragmatischen Öffnung für realpolitische Regierungsoptionen und politische Bündnisstrukturen zu profitieren. Somit konnte die Partei Brücken schlagen und sich somit auch als politische Alternative für völlig neue gesellschaftliche Milieus anbieten.
Die AfD muss diesen Weg nicht gehen und sollte vermutlich auch weiter auf die elektoralen Potentiale der materialistisch orientierten und abstiegsbedrohten Mittelklassen setzen. Dennoch sind die Grünen ein Musterbeispiel dafür, wie der Zugriff zur Macht nicht nur über Wahlen, sondern auch durch die kontinuierliche Akkumulation der kulturellen, ökonomischen und intellektuellen Ressourcen funktionieren kann. Das Konzept der „Metapolitik“ grüßt hier aus der operativen Praxisanwendung!