AfD und die Demographie

Politische Realitäten
der Rentnerrepublik

Deutschlands Bevölkerung altert. Und dies hat nicht nur Konsequenzen für den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme sondern auch auf die demokratische Machtkonfiguration. Mit einer wachsenden alten Bevölkerung entstehen auch konkrete verfestige politische Strukturen und Muster. Wie kann die AfD darauf reagieren? Wie sieht die Altersverteilung ihrer Wählerschaft aus und wo lassen sich über bestimmte Alterskohorten mögliche strategische Mobilisierungsansätze identifizieren?

Als die SPD kurz vor der Bundestagswahl 2021 zur Aufholjagd auf die CDU ansetzte, beschrieben dies einige politische Beobachter als die große Aufbruchsstimmung einer neuen Generation, die sich nach 16 Jahren Merkel endlich Veränderung wünscht. Mit jungen prominenten Gesichtern wie Kevin Kühnert und einer parteiinternen Stärkung der Jusos – die nun mit einer großen Parlamentsgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion vertreten sind – hoffte man vor allem auf ein wahrnehmbares Signal an die junge Generation. Am Ende gewann die SPD die Wahl, verlor aber in der Altersgruppe der 18-24-Jährigen ganze 4% an Zustimmung.
Die wahlentscheidende Wählermasse für die SPD bildete sich wieder einmal aus den Ü60-Jahrgängen, wo die Partei um knapp 10% zulegen konnte – kein exorbitanter Wert angesichts der demoskopischen Ausgangslage der Partei könnte man meinen, doch entscheidend war die quantitative Größe in dieser Altersgruppe.

Mit über 38,2% der Wahlberechtigten ist die Wählergruppe der Ü60-Jährigen inzwischen der dominante elektorale Faktor bei den Bundestagswahlen. Sie ist sogar größer als alle Altersgruppen zwischen 18-40 Jahren zusammen. Ab der Bundestagswahl 2025 werden die Wähler ab 55Jahren in der Mehrheit gegenüber allen anderen Altersgruppen sein. Und der Anteil der alten Menschen in der bundesdeutschen Bevölkerung wird in den kommenden Jahren weiter steigen. Waren 1960 noch 12% der Bevölkerung älter als 65 Jahre, so sind es im Jahr 2020 bereits über 22%.

Neben den vielen struktur- und sozialpolitischen Herausforderungen, die sich in der Sozial-, Renten- und Gesundheitspolitik damit ergeben, ist dieses Phänomen jedoch auch aus einer demoskopischen und wahlsoziologischen Perspektive interessant. Auch im Hinblick auf die AfD lohnt sich eine nähere Betrachtung.
Schaut man sich die Altersstruktur der AfD-Wählerschaft an, so zeichnet sich ein wellenförmiges Bild, bei der die Partei in den sehr jungen und sehr alten Altersklassen besonders schwach und im Mittelbau meist überdurchschnittlich stark abschneidet. Somit steht die AfD im Zangengriff der jungen, linken „wokeness-Generation“ und der altbundesrepublikanischen Rentnergeneration.

Während die Strategiedebatten in der AfD in der Vergangenheit die Frage nach den sozioökonomischen Potentialen verfolgten, hat man die demographische Bunkerstellung, in der sich die Partei befindet, lediglich zur Kenntnis genommen. Insbesondere bei der Erfassung und Skalierung künftiger Wählerpotentiale baut sich eine große Herausforderung auf, wenn man sich vor Augen führt, dass die älteren Wählergruppen für die AfD offensichtlich nur schwer zu erreichen sind, diese jedoch demographisch den größten Anteil der Wahlberechtigten ausmachen und gleichzeitig auch die höchsten Werte bei der Wahlbeteiligung aufweisen.
Dadurch ist der Gewinn junger Wählerstimmen für viele Parteien längst schon nur zu einem symbolischen Erfolg geworden. Wo heute bspw. 5% der Ü60- Generation als Wähler von den klassischen Volksparteien mobilisiert werden, ist dies nur mit einem 1:3 – Verhältnis bei den jungen Wählern zwischen 18-29 Jahren zu kompensieren, will heißen, dort müssten ganze 15% gewonnen werden.

Hier zeigt sich dann schließlich auch, dass der Wahlerfolg von FDP und Grüne bei den Jungwählern zwar für ein paar Journalistenstorys, nicht aber für signifikante Gesamtstimmenzuwächse oder gar Wahlsiege reicht. Es stimmt, dass in einem Fünfparteiensystem auch die Wählerverteilungen deutlich volatiler verlaufen. Dennoch muss anerkannt werden, dass sich durch die Alterung der wahlberechtigten Bevölkerung auch Gewohnheitspräferenzen und langfristige Parteiidentifikationen verfestigen und somit möglicherweise die bekannte Konstellation des Parteienstaates noch auf einige Jahre halten könnte. Trotz der katastrophalen Wahlniederlage der CDU bei der Bundestagswahl 2021 war nämlich vielen Beobachtern klar, dass die Talfahrt aufgrund der strukturellen Wählermehrheit in den 60plus-Altersklassen wohl kaum unter 20% gehen würde.

Lebenswelt der 60plus-Generation

Ein schneller strategischer Schluss, um ältere Wählerschaften zu mobilisieren, wäre natürlich ein starkes programmatisches Angebot in den Gebieten Gesundheit, Rente und Pflege. Doch Studien zu Wählerentscheidungstheorien sehen bereits seit langem den sogenannten Rational-Choice-Ansatz kritisch.
Vielmehr folgt die Politikwissenschaft heute Ansätzen der Habituationstheorie und der Kohortentheorie. Ersterer Ansatz versucht das Wahlverhalten nach Altersgruppen vor allem über psychologische Grundannahmen zu erklären. Demnach routinisiert sich das Wahlverhalten im Verlauf politischer Sozialisationsprozesse. Wo in jungen Jahren das Elternhaus, die Bildung und die sozioökonomische Stellung erstmalig auch politische Entscheidungsprozesse prägen, wird dieses Verhalten mit zunehmendem Alter zu einem Gewohnheitsakt, der sich auch vom tagespolitischen Geschehen und der Hochfrequenz des modernen Nachrichtenmeldungsjournalismus weitgehend abkoppelt.
Rufen wir uns dabei nochmal ins Gedächtnis, dass der umstrittene und unbeholfene CDU-Kandidat Armin Laschet trotz aller Skandale und allem Dilettantismus heute Kanzler wäre, wenn nur die über 70-Jährigen gewählt hätten.

Nach der Habituationstheorie wird auch der Erfolg bei Jungwählern zu einem Check, den die Parteien bei kommenden Wahlen immer wieder einlösen können. So zumindest die Annahme. Angesichts der sozialen Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft und der Auflösung konventioneller Milieus sowie der zunehmenden Wechselwahlbereitschaft dürfte diese These heute nur schwer zu halten sein.
Als analytische Ergänzung lohnt sich daher insbesondere im Kontext der bundesdeutschen Parteienstruktur ein Blick auf die Kohortentheorie. Demnach werden die Wahlentscheidungsprozesse im Alter nicht wie bei der Habituationstheorie allein von individualpsychologischen Aspekten bestimmt, sondern durch spezifische historische Variablen und generationale Episoden vervollständigt.
Jede Generation (Kohorte) ist von bestimmten Großereignissen und Entwicklungen geprägt, die das politische Bewusstsein formen und nachhaltig prägen. Es gibt Generationen, die in ihrer Zeit der frühen politischen Sozialisation ähnlichen Einflüssen und gesellschaftlichen Prozessen ausgesetzt waren.

Die Union bspw. profitiert bei den besonders alten Jahrgängen, die zwischen 1930 und 1945 geboren wurden und nach dem Krieg den Wiederaufbau während der Adenauer-Zeit, das Wirtschaftswunder und den frühen bundesrepublikanischen Wohlstand erlebt und diese Erinnerungen behalten haben. Die SPD gilt als stärker in der Generation der 1945 – 1960 Geborenen, die die Ära Willy Brandt und Helmut Schmidt noch aktiv miterlebt haben und später auch durch die 68er-Studentenbewegung beeinflusst wurden.
Diese altbundesrepublikanische Realität der Blockkonstellation aus zwei ehemals starken Volksparteien wirkt ebenso wie die ideologischen Positionierungsfragen während des Kalten Kriegs bis heute nach und lassen die Bonner Republik in der Wählerschaft weiterleben. Ein beispielhafter Blick auf die Zeitverläufe der Europawahlen und die Ergebnisse von SPD und CDU bestätigt dieses Bild von den konstant überdurchschnittlichen Zustimmungswerten bei den 60plus-Generationen.

Diese Statistik des Wahlverhaltens der Ü60-Jährigen spiegelt sich auch in direkten Umfragen wider, wo immerhin 46% der 50-70-Jährigen angeben, dass sie meist unabhängig von der aktuellen Positionierung, dem Personal oder der Programmatik ihrer präferierten Partei die Stimme geben. Dieser Wert ist fast doppelt so hoch wie bei der jungen Generation zwischen 19-29 Jahre.
Diese Generation scheint ein viel experimentierfreudigeres politisches Laboratorium zu sein, welches sich durch dynamische Wechselwahlen und rationale Nutzenabwägungen auszeichnet.

Auch wenn die grundsätzlichen Werteorientierungen der jungen Generation deutlich liberaler und kosmopolitischer geworden sind, so kann anhand der politikwissenschaftlichen Studienlage keineswegs abschließend behauptet werden, in dieser Altersklasse wäre die Dominanz von FDP und Grünen auf Dauer zementiert. In einer Bertelsmann-Studie wird diese Generation treffend auch als „Generation Wahl-O Mat“ bezeichnet. Demnach ist die gestiegene Nutzung von sogenannten „Wahl-O-Maten“ in den jungen Altersklassen auch ein Indiz dafür, dass die Generation 18-30 Jahre zunehmend auf Hilfsinstrumente zurückgreift, um die eigene Wahlentscheidung zu rationalisieren.

Es erscheint schon fast als eine Binsenweisheit, dass selbstverständlich auch der mediale Konsum von politischen Informationsangeboten Einfluss auf Wahlentscheidungsprozesse hat. So ist das klassische Fernsehen sowohl bei Alt und Jung immer noch das dominante Medium. In jungen Altersklassen zeigt sich jedoch eine deutliche Signifikanz in Richtung Online-Informationsangebote. Die Jungen konsumieren einen viel breiteren Medienmix und sind somit auch für alternative Informationsangebote besser erreichbar.

Folgen für die AfD

Die große Frage künftiger Mobilisierungsstrategien lautet nun natürlich, auf welche Alterskohorten sich die AfD fokussieren sollte. Gilt es, auf den großen demographischen Brocken der alten Wähler ab 60Jahren zuzugehen? Sollte man die Jungwählergruppen adressieren, um damit den Altersmittelbau nachhaltig zu stabilisieren und mögliche Kernwählerschaften nachwachsen zu lassen? Oder sollte direkt das Maximum im Mittelbau der 35-60 Jahre Generation ausgeschöpft werden und der Fokus somit auf den Ausbau und die Pflege der ohnehin starken Wählerschaften gelegt werden?
Eindeutig lässt sich diese Frage nicht beantworten. Für eine fundierte Analyse bräuchte es eine robustere Datenlage, intensive Fokusgruppenforschung und das Bewusstsein für die Notwendigkeit eigener demoskopischer Arbeit innerhalb der Partei.

Wenn die Fakten zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden, so muss anhand der Studienlage aus Analysen vergangener Wahlen und der politpsychologischen Erklärungsmuster ein ernüchterndes Fazit in Bezug auf das Mobilisierungspotential älterer Wählerschaften gezogen werden. Es wird der Partei kurz- und mittelfristig nicht gelingen, die ideologischen Bunker durch mitreißende Gegenangebote und Narrative aufzubrechen. Beim personellen Angebot fehlt es aktuell an charismatischen und eloquenten Medienfiguren, die wöchentlich mehrmals in Nachrichtensendungen und Talkshows präsent sind, um auch vom Ü60-Publikum wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig dürfte es der AfD in ihrer Rolle als Oppositionspartei schwer fallen, mit Narrativen und berechtigten Warnungen vor ökonomischen Niedergang, Energie- und Migrationskrise und der Bedrohung der Grundrechte eine Generation zu adressieren, die mit positiven Versprechungen von Frieden, Freiheit und Wohlstand der Nachkriegszeit aufgewachsen ist.

Ein Blick auf die Entwicklung der Realeinkommen zeigt, dass es vor allem die älteren Jahrgänge waren, die ökonomisch in den letzten Jahren profitiert haben, während jüngere Menschen größere Einbußen in der Realeinkommensentwicklung hinnehme mussten. Selbstverständlich lebt die AfD von den pessimistischen Zukunftserwartungen ihrer Kernwählerschaft. Die 60plus- Generation scheint ökonomisch gesättigt und zufrieden zu sein. Ihre Zukunftserwartungen sind meist nur auf die Absicherung und Stabilisierung des Status Quo ausgerichtet.

Parteien die noch echte politische Gestaltungsansprüche artikulieren, werden dieser Generation nur sehr schwer ein authentisches und mobilisierendes programmatisches Angebot machen können. Daher ist es auch ein Irrtum im rechten Lager, dass durch sich verschärfende gesellschaftliche Spannungen und ökonomische Probleme eine Sehnsucht nach alternativer Politik einstellen würde. Wie wir schließlich gesehen haben, ist der Wahlentscheidungsprozess, insbesondere bei älteren Wählern, von kühlen und berechnenden Rationalitätskriterien abgekoppelt.
Es gibt keine individuelle Nutzenabwägung und umfangreiche Wahlprogramm-Vergleiche. Vielmehr ist die Wahlentscheidung von lebensweltlichen Umständen, Milieuzuordnungen, frühen politischen Sozialisierungen, historisch-biographischen Episoden und familiären Einbindungen abhängig. Hier gilt es in Zukunft analytisch anzusetzen, anstatt sich in falschen Hoffnungen und illusorischen Projektionen von sich zuspitzenden gesellschaftlichen Verwerfungen und Brüchen zu verlieren. Tag-X Träume sind immer auch Ausdruck einer politstrategischen Insolvenz.

Schaut man sich die vergangenen Landtagswahlen und die Altersverteilung in der AfD-Wählerschaft an, so zeigt sich in den meisten Bundesländern (egal ob Ost oder West) das immer gleiche Bild. Bei den Ü60-Jährigen und bei den 18-34-Jährigen schneidet die Partei meist leicht unterdurchschnittlich ab. Verkürzt man die Altersspannen, so sind vor allem die sehr jungen Altersklassen von 18-24 und die besonders alten Gruppen ab 70 Jahren für die unterdurchschnittlichen Werte verantwortlich. Da wir jedoch eine möglichst breite demographische Vergleichbarkeit abdecken wollen und ebenso man zu den Jungwählern auch die 30-Jährigen zählen sollte, haben wir in einer kleinen Berechnung die Altersspannen 18-34 und 60+ ausgewählt.

Bei den Jungwählern weicht der Durchschnitt im Vergleich aller vergangenen Landtagswahlen um minimale 0,16% vom tatsächlichen Wahlergebnis ab. Insbesondere in Thüringen und Sachsen-Anhalt war die Partei bei den letzten Wahlen um 2% und 1,5% stärker in den jungen Altersgruppen als im Gesamtwahlergebnis. Am schwächsten schneidet Hamburg bei der Landtagswahl 2020 unter den 18-34-Jährigen mit einer Abweichung von 1,5% zum Wahlergebnis. Somit wird auch bei einem Vergleich zwischen den Ost- und West- Bundesländern deutlich, dass die AfD im Osten bei Jungwählern im Durchschnitt meist um 0,5% stärker ist als das eingefahrene Wahlergebnis. Im Westen ist sie jedoch um 0,5% schwächer.

Deutlichere Abweichungen zeigen sich hingegen bei den 60+ Wählern. Hier weichen die Werte in den entsprechenden Altersklassen in allen Bundesländern um durchschnittlich 2,7% vom Wahlergebnis ab. Bemerkenswert ist dabei, dass die beiden Bundesländer Thüringen und Sachsen-Anhalt, die bei Jungwählern die stärksten überdurchschnittlichen Ergebnisse erreichen in der Altersgruppe ab 60 Jahren gleichzeitig die stärksten negativen Abweichungen zum Wahlergebnis haben. In beiden Bundesländern weicht das Ergebnis bei 60plus-Wählern um 6% vom Gesamtergebnis ab.
Dadurch zeigt sich auch bei Betrachtung des gesamten Ostens eine durchschnittliche Negativabweichung von 4,9%. Im Westen sind es hingegen nur 1,65%. Die starken Ergebnisse im Osten sind also nicht das Ergebnis der dortigen überalterten Bevölkerung, sondern vor allem Produkt eines breit ausgeschöpften Wählerpotentials im Altersmittelbau und leicht überdurchschnittlichen Werten im Jungwählerbereich. Wenn die Ergebnisse bei den 60plus-Wählern im Osten näher an das Gesamtwahlergebnis heranreichen würden, so wäre die AfD zumindest in Thüringen und Sachsen vermutlich bereits stärkste Kraft.

Fazit

Demographie und Demoskopie sind liefern unumstößliche Fakten, die bloße Wünsche und Hoffnungen übertrumpfen. Die AfD wird sich zwangsläufig mit dem Phänomen der Rentnerrepublik und der zielgruppengerechten und differenzierten Wähleransprache auseinandersetzen müssen. Dafür gilt es, die Milieus zu verstehen und empathische Zugänge zu finden. Trotz scheinbar verfestigter Verteilungsstrukturen im Elektorat der 60plus-Wählerschaften heißt dies nicht, dass die AfD in ihren starken Altersgruppen bereits an eine gläserne Decke stößt und ihr Maximum ausgeschöpft hat. Die Partei hat ihre Rolle bereits als Anwalt jener gefunden, die dieses System noch am Laufen halten und auf deren Schultern das soziale Sicherungssystem ruht. Sie ist den Menschen verpflichtet, die noch anspruchsvolle Zukunftserwartungen an ihr Leben haben und die jetzt mitten im Gefecht darum stehen, dass sie ihren eigenen Kindern ein Land vererben können, in dem sie stolz auf ihre Werte, Traditionen und Kultur sein können.

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