Neuer Versuch – alte Fehleinschätzungen: Petry und Team Freiheit

„Team Freiheit“ will die bürgerlich-liberale Lücke schließen und sich in die politische Versuchsanordnung nach LKR, Bündnis Deutschland, Werte-Union usw. einreihen. Doch bei aller politischen Angebotsanalyse, bleibt die Nachfrageseite im Wählermarkt wieder einmal ausgeblendet. Eine Analyse, die mit dem strategischen Selbstbetrug liberalkonservativer Parteiprojekte aufräumt.

Im liberalkonservativen Lager ist vor wenigen Monaten eine neue Staffel in der Serie „Neuer Versuch – neue Parteigründung“ erschienen. Die ehemalige AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry will es mit ihrem Bündnis „Team Freiheit“ nochmal wissen. Der Zweitversuch nachdem man die Partei „Die Blauen“ kurz nach dem AfD-Austritt schnell wieder beiseitegelegt hatte. Seitdem suchte Petry immer wieder nach einer neuen politischen Rolle. Zunächst als Vorsitzende des erwähnten Kleinstprojektes „Die Blauen“, Talkshow-Gast, Autorin und nun wieder auf der aktiven politischen Bühne. Wer einmal im Rampenlicht stand, sucht neue Formate, um persönliche Relevanz und Sinn zu sichern. Aber über Spekulationen zu persönlichen Motivlagen von Frau Petry und anderen Protagonisten möchte ich mich gar nicht zu lange aufhalten.

Das „Team Freiheit“ legt aktuell zumindest eine gewisse Taktzahl vor, was Meldungen und PR-Stunts angeht. Schon zum Auftakt holte man den thüringischen Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (ehemals FDP) ins Boot. Mit Joana Cotar stößt eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete hinzu, die auch im AfD-Bundesvorstand saß. In Mecklenburg-Vorpommern verfügt das Projekt mit der FDP-Abtrünnigen Sandy van Baal über eine Vertretung in einem Landesparlament. Weitere FDP-Prominenz ist mit Helge Ziegler (Kommunalpolitiker) und Werner Jannek gefolgt.

Laut Eigenaussage von Thomas Kemmerich ist durch Spenden bereits ein „siebenstelliger Betrag“ zusammengekommen – genug, um die Wahlkampffinanzierung für das große Wahljahr 2026 zu stützen. Die organisationsstrukturellen Grundvoraussetzungen wirken damit zunächst erfüllt: Geld ist da, prominentes und sprechfähiges Personal ist in Stellung gebracht, und auch die eigene Medieninfrastruktur (Podcasts, Livestreams, Website etc.) funktioniert. Eine Basismixtur, um ein Parteiprojekt an die Startrampe zu manövrieren.

Professionalität ersetzt keine Verortung

Dass Professionalität und moderne Kommunikationsführung nun jedoch keine alleinigen Mobilisierungs- und Wahlerfolgsbedingungen sind, ist eine Binsenweisheit und dürfte mindestens die FDP-Zuwächse im Team Freiheit auch bestätigen. Neben den parteiinfrastrukturellen Hausaufgaben bedarf es am Ende schließlich auch einer grundsätzlichen strategischen Positionierung und Einfügung in die politisch-kulturellen Paradigmen des bundesrepublikanischen Parteisystems.

Die deutsche Parteienlandschaft weist seit Jahren einen wachsenden Graben kleiner bis sehr kleiner liberal-konservativer Formationen auf, die zwischen Union und AfD campieren wollen und dabei immer wieder von den gleichen strategischen Prämissen ausgehen.

  1. Die erste Prämisse postuliert eine unbesetzte, idealisierte Mitte. Sie entsteht, so die Erzählung, aus einer Union, die durch die Brandmauer in permanente linke Koalitionen gebunden sei, aus einer FDP ohne klares Identitätsprofil, die lediglich nur noch ein paar altliberale Feigenblätter aufweist und aus einer AfD, die in dauerhafter externer Ausgrenzung verharrt. Aus dieser Lesart folgt das Versprechen, ein „wahrhaft“ bürgerlich-liberales Lager neu zu definieren und eine vermeintlich repräsentative Lücke im Mitte-Rechts-Raum zu besetzen. Petry sprach selbst davon, dass jeder von Freiheit spreche, aber niemand sie mehr authentisch verkörpere. Das will man nun mit dem eigenen Parteiangebot ändern.

  2. Es gibt innerhalb der europäischen Parteiensysteme keinen wirkmächtigen freiheitlich-libertären Erzählstrang. Bedingt durch das internationale Momentum libertärer Persönlichkeiten, Promis und Vordenker wie Milei oder Musk versucht man nun aber auch in Europa einen mobilisierenden Freiheitsmythos zu popularisieren. Mit den realen Einflüssen und Machtoptionen in Nord- und Südamerika könne man die libertäre Idee auch in ein systemisches Gebilde transferieren und könne somit kommunikationsstrategisch einen klaren Pfad von der Abstraktion in die politische Konkretisierung nachzeichnen.

  3. Aufbauend auf der zweiten Prämisse versucht man schließlich die zentralen Konfliktlinien des Parteiwettbewerbs durch den Gegensatz „Freiheit vs. Etatismus“ neu zu codieren. Der Staat sei demnach die eigentliche neue Antagonistenfigur und eine neue Partei könne die Siegererzählung der Freiheit als triumphierende Kraft über Etatismus und Kollektivismus zurückholen.

Man vertraut also auf einen politischen Kulturwandel, der das Parteisystem sowie Wählerbeziehungen und ideologische Loyalitäten neu strukturiert. Um sich Gewissheit über einen angeblich verborgenen Goldschatz in der politischen Mitte zu verschaffen, wurde zuletzt eine INSA-Umfrage in Auftrag gegeben, wonach 45% der Deutschen den Bedarf einer neuen Partei in der politischen Mitte sehen würden. Selbstbewusst bis vollmundig verkündet Ex-Ministerpräsident Thomas Kemmerich, dass hier ein unmittelbar mobilisier- und aktivierbares Wählerpotential von knapp 25% vorläge.

Umfragen, Potenziale und Projektionen

Nun sind solche Bestandsaufnahmen und Potenzialanalysen nicht neu. Insbesondere dann, wenn die Fragestellung solcher Umfragen recht offen bleibt. Auch für die Werte-Union wurde 2024 ein Wählerpotenzial von 15 % identifiziert. Im Jahr 2021 gaben 22 % der Wähler an, dass sie sich vorstellen könnten, eine neue Partei mit klarem konservativem und wirtschaftsliberalem Profil zu wählen. Und auch in etwas entfernteren ideologischen Sphären wiesen manche Meinungsforscher ein BSW-Potenzial zwischen 15–20 % aus. Die Diskrepanz dieser Potenziale mit den realen Wahlergebnissen dürfte den meisten bekannt sein. Aber man braucht ja schließlich auch immer einen Referenzpunkt, in den man viel politische Hoffnung hineinprojizieren kann. Anstatt die strukturellen Unterschiede zwischen Wahl- und Zweitwahlabsicht, Parteipräferenz und Parteiidentifikation genauer zu analysieren, flüchten sich manche Akteure in das Wunderland großer Potenzialaussichten. Dadurch wird jedoch die eigentlich entscheidende Ebene der strukturellen Nachfrage im Elektorat vollends vernebelt, und die Fehleranalyse verliert sich dann in Debatten über Personal, Professionalisierung oder mediale Präsenz.

Die Grundbedingung jeder Erfolgseinschätzung für ein politisches Projekt ist zunächst die gründliche Betrachtung politischer Kultur, Wählermärkte und ideologischer Konfliktdimensionen. Politische Bedarfsfragen erfassen vielleicht diffuse Systemdiagnosen und generelle Offenheit. Sie messen jedoch keine realen Wahlentscheidungen, in denen Kostenabwägungen, reale Identifikation oder Alternativen sichtbar sind.

Der minimalstaatliche Erzählstrang

Ob Team Freiheit eher ein Erfolg oder ein Desaster wird, lässt sich natürlich nicht hundertprozentig prognostizieren. Die meisten politischen Beobachter würden sich vermutlich eher nicht auf eine Erfolgswette einlassen. Einerseits aufgrund des ausreichenden Beobachtungsmaterials der letzten Jahre von LKR über Bündnis Deutschland bis zur Werte-Union und eben aufgrund der bereits erwähnten politisch-kulturellen Konfiguration in Deutschland.

Dass es innerhalb der europäischen Parteiensysteme bisher keine nennenswerten libertären Formationen gab, dürfte nicht nur durch Zufall bedingt sein. Die realen Konfliktlinien der letzten Jahre verlaufen nicht entlang einer Dichotomie zwischen „Freiheit vs. Staat“. Das gegenwärtige Nachfragezentrum verläuft kulturell und ordnungspolitisch. Die wachsende kulturelle Entfremdung, Entgrenzung – der soziale Statusverlust und die lebensweltlichen Zumutungen – werden innerhalb der politisch unzufriedenen Milieus nicht mit einem libertären und freiheitsoptimistischen Reflex goutiert.

Hinzu tritt die allgemeine wohlfahrtsstaatliche Rahmung, die historisch gewachsen ist und in Krisenerfahrungen meist zusätzliche Ansprüche erzeugt. Die Bevölkerung adressiert den Staat als zentrale Instanz zur Sicherung von Infrastruktur, kultureller Anerkennung, sozialer Balance und öffentlicher Ordnung. Unzufriedenheit kanalisiert sich in Forderungen nach verbesserten Leistungen und klaren Prioritäten. Insbesondere durch den anhaltenden Migrationsdruck verstärkt sich zugleich der nativistisch-identitäre Impuls zur Verteidigung und Anspruchssicherung öffentlicher Güter und sozialer/ökonomischer Ressourcen für die eigenen Leute. Schutz und Versorgung für die „Eigenen“, restriktive Zugänge für Außenstehende. Der Staat wird in diesem europäischen Selbstverständnis nicht als genuine Konkurrenz zu seinen Bürgern wahrgenommen. Er setzt jedoch falsche politische Prioritäten und befindet sich in Geiselhaft von Ideologien, die an den Grundfesten staatlicher Ordnung sägen (Volk, Sozialkapital, Kultur und Vertrauen).

Der Staat wird zwar kritisiert, doch überwiegend, weil er aus Sicht vieler zu wenig leistet, nicht weil man ihn abschaffen möchte. Auch wenn die demoskopischen Befunde der letzten Jahre eher einen negativen Trend im staatlichen und vor allem institutionellen Vertrauen aufweisen, so sind die Ebenen Institutionenvertrauen und Rollenvertrauen zu unterscheiden. Es macht einen Unterschied, ob Vertrauen in die Institutionen schwindet, die oftmals als direkter Ausdruck der jeweiligen ideologisch-politischen Herrschaft wahrgenommen werden, oder ob sich die Vertrauenserosion auch in Funktion, Rolle und Struktur des Staates widerspiegelt. Aus sinkendem Institutionenvertrauen eine Öffnung für libertäre Minimalstaatskonzepte abzuleiten, vertauscht Adressat und Funktion. Die Nachfrage richtet sich nicht auf Rückbau, sondern auf die bessere Nutzung staatlicher Kapazitäten und Ressourcen.

Tweet Benjamin Läpple auf „X“ vom 30. November 2024.

Auch die positionelle Mitte-Verortung des Team-Freiheit dürfte kaum größere Mobilisierungseffekte hervorrufen oder gar die eigene politische Markenkernbildung unterstützen. Politische Mitte ist in Deutschland eher kompetitiv besetzt und weniger eine Leerstelle. Wer sie beansprucht, muss vorhandene und gefestigte politische Identitäten übertrumpfen und zugleich eine glaubwürdige Erzählung liefern, die in reale Alltagskonflikte einschreibt.  

Als große Neuerung präsentiert man bei Team Freiheit das Charakteristikum einer „Antipartei-Partei“. Mandatslisten für Parlamentswahlen sollen demnach künftig von der tatsächlichen Parteimitgliedschaft getrennt bleiben. So wolle man sich endlich von den innerparteilichen Machtlogiken emanzipieren und technokratische Elemente verstärken. Dies mag zwar auch einen gewissen Nerv der populären Parteienkritik treffen, aber berührt die Tiefenstruktur der Unzufriedenheit der Leute nur marginal. Mit dem Begriff „Antipartei“ operierten schließlich auch schon die die Grünen in ihrer Anfangsphase der 80er Jahre, die Piraten Ende der Nullerjahre und in Auszügen auch die AfD. Nach wie vor bilden sich die repräsentativen als auch kompetitiven Gesellschaftsprozesse in den Parteien ab und insbesondere inmitten eines disruptiven Momentums der bundesdeutschen Parteienlandschaft, durch die gewachsene Stärke der AfD, noch ein Kleinstangebot einzupflegen ist doch reichlich naiv.

Fazit:

„Team Freiheit“ operiert mit einer Triade aus imaginierter Mitte, libertärer Traditionsbehauptung und einem neu erfundenen Cleavage zwischen Freiheit und Etatismus. Hinzu kommt ein demoskopischer Kurzschluss, der den politischen Bedarf mit realer Aktivierbarkeit verwechselt. Das Projekt ist damit weniger Avantgarde als Neuinszenierung der bekannten Fehler seiner Vorgänger. Der Zwischenraum, den es beansprucht, ist kein politischer Markteintritt, sondern ein weiterer Baustein aus einer gescheiterten Versuchsreihe.