Nach der Hochwasserkatastrophe im Südwesten der Bundesrepublik werden die Karten für diesen Wahlkampf neu gemischt. Es ist ein Ereignis was örtliche Präsenz bei gleichzeitiger kommunikativer Sensibilität erfordert. Die Grünen wittern den Game Changer für ihre Kampagne und die CDU muss irgendwie ein adäquates Krisenmanagement mit ihrem Kanzlerkandidaten und Ministerpräsidenten von NRW leisten. Was kann die AfD in dieser Situation tun? Wie könnte eine authentische Kommunikation aussehen?
Vor wenigen Tagen schien es noch so als sei dieser Wahlkampf gelaufen. Die CDU stabilisiert sich auf ihren komfortablen 30%. Die Grünen werden auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und konnten ihre Träume von der Kanzlerschaft erstmal wieder in die Schublade packen. Bei den Sozialdemokraten fantasiert man ebenso von der Kanzlerschaft, wird sich jedoch eingestehen müssen, dass der eigentliche Wettbewerb dieses Wahlkampfes im Zieleinlauf um Platz zwei mit den Grünen stattfinden wird. Der FDP -Höhenflug scheint ebenfalls vorerst gebremst, während die Linkspartei das schlimmste erst einmal überwunden hat, aber dennoch in die gefährliche Nähe der 5% Hürde runtersackt. Und die AfD? Auch hier nichts neues. Zweistellig aber nach wie vor kein vernünftiges Mobilisierungsthema gefunden und zu stark mit sich selbst beschäftigt.
Dann folgt plötzlich eine unvorhergesehene Naturkatastrophe im tiefen Westen der Republik und die politischen Beobachter sind zerrissen in zurückhaltender Sensibilität zu dem Ereignis und der gleichzeitigen Hoffnung, dass dieses Ereignis die Karten völlig neu mischen könnte. Recht schnell stimmen alle in den Tenor einer Katastrophe als Folge des Klimawandels ein. Jackpot für die Grünen? Nach dem rasanten Umfrageabsturz hofft die Partei auf einen ähnlichen Effekt wie schon im Dürresommer 2019, wo die Grünen zur Europawahl ein für sie historisches Ergebnis einfahren konnten. Endlich könnte der Aufmerksamkeitsfokus von den Baerbock Skandalen der letzten Wochen auf konkrete Ereignisse gelegt werden, die voll auf das Agenda-Setting- Konto der Grünen einzahlen.
Mit Stand vom 16.07.2021 ist klar, dass auch Annalena Baerbock sich auf dem Weg in das Krisengebiet im Südwesten befindet. Derartige Katastrophen erfordern ein besonders empathisches und sensibles kommunikatives Vorgehen. Jeder weiß, dass solche Reisen inmitten des Wahlkampfes primär für Journalisten gemacht sind, die dies für ihre Showinzsenierung und Headlines benötigen. Einerseits will man das Ereignis nicht zu sehr ausschlachten, um den Vorwurf der Instrumentalisierung zu vermeiden und andererseits würde das Fernbleiben mindestens ebenso kritisch beäugt werden. Knapp 70 Tage vor einer entscheidenden Bundestagswahl muss man sich jedoch so ehrlich machen, dass es sich keine Wahlkampfteam leisten kann hier örtlich abwesend zu bleiben und sich mit ein paar Beileidsbekundungen oder passiven Spendenaufrufen zu begnügen.
Framing und Handeln
Nahezu alle Altparteien versuchen die Flutkatastrophe in eine direkte Kausalität zur Klimakrise zu framen. Ereignisse wie im Südwesten der Republik erforderten endlich aktives Handeln und Einsatz für den Klimaschutz. Ein inhaltlich-politischer Aufschlag von dem sich vor allem die Grünen eine aktive Themensetzung versprechen. Doch ob die Menschen vor Ort, deren Häuser gerade buchstäblich weggeschwommen sind, von derartiger Rhetorik einfangen lassen kann man zurecht in Frage stellen. Das Narrativ der Klimakrise lebt vor allem von seiner apokalyptischen Abstraktion und Latenz. Die unmittelbare Betroffenheit einer Naturkatastrophe dürfte jedoch zunächst einmal ganz andere emotionale Impulse auslösen. Und hier sind nicht mehr die abstrakten Warner wichtig, sondern die Krisenmanager und helfenden Hände die als Macher und Anpacker wahrgenommen werden. Insoweit könnte sich die Flutkatastrophe auch schnell auf das Konto von Armin Laschet einzahlen, der zumindest als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, als betroffenes Bundesland, Zugriff auf die Infrastruktur, Planungsstäbe und Personalressourcen für die Hilfe vor Ort hat. Eine Situation, in der er viel Vertrauen gewinnen aber auch gleichzeitig verlieren kann.
Was kann die AfD in der Situation tun?
Inhaltlich hat die AfD das Thema des mangelnden Katastrophenschutzes und eines entsprechenden Warnsystems aufgegriffen. Gut! Auch die Perversion mit welcher Selbstverständlichkeit ohne irgendeine wissenschaftliche Evidenz diese Katastrophe mit dem vermeintlich menschengemachten Klimawandel verknüpft wird ist eine Frechheit, mit der man den politischen Gegner scharf angreifen muss. Doch die parteipolitischen und ideologischen Deutungskämpfe sind auch nichts was den derzeitigen Alltag der Menschen im Krisengebiet bestimmt.
Die AfD kann sich aufgrund mangelnder Ressourcen nur bedingt in die bürokratische und infrastrukturelle Hilfe einbringen wie es ein Armin Laschet als Ministerpräsident (und „zufälligerweise“ gleichzeitig Kanzlerkandidat) kann. Dennoch kann die Partei sich in direkte lokale Hilfsnetzwerke einbringen. Dafür braucht es nicht die große staatsmännische Inszenierung, sondern nur etwas organisatorisches Geschick, engagierte Mitglieder und echten Willen.
Zunächst geht es darum in Gesprächen mit den betroffenen Menschen und Helfern vor Ort einen empathischen und sensiblen Zugang zu finden. Es geht um ein Verständnis für die entscheidenden Probleme und Sorgen, die die Menschen vor Ort haben. Was gibt es für Möglichkeiten der direkten Hilfe? Was kann hier organisatorisch geleistet werden? In jedem Fall muss das AfD- Umfeld hier ihren Exklusiv- und Abgrenzungsanspruch unterstreichen. Es darf nicht nur bei rhetorischen Floskeln bleiben, sondern die Helfer müssen sich direkt mit örtlichen Hilfsnetzwerken melden um in den Bereichen Unterkunftskoordination, Aufräumarbeiten, Reparaturen, Sandsackbefüllung und Seelsorge aktiv zu unterstützen. Der organisatorische Aufwand für die örtliche Vernetzung und Koordination sollte bei über 200 Mandatsträgern in Landtagen und Bundestag, die alle einen Büroleiter und Wahlkreismitarbeiter haben, durchaus stemmbar sein. Die AfD könnte hier eine Solidaritätsdynamik entfalten, die Mitglieder und Unterstützer in die direkte Hilfe für die betroffenen Menschen der Katastrophe einbindet.
Und nein, es ist keine Schande, wenn die Hilfsteams sich Medien- und Kameraleute mit einpacken, die in emotionalen Situationen auch mal den Auslöser drücken. Denn neben der unmittelbaren und schnellen Hilfe geht es natürlich auch um die anschließende politische Aufarbeitung eines solchen Ereignisses. Warum versagte der Katastrophenschutz? Wo werden Menschen vom Staat alleingelassen? Das ist neben der sachlich-inhaltlichen Aufarbeitung auch eine Frage der richtigen Kommunikation.
In einzelnen Landesverbänden und auch im Bundesvorstand scheint sich inzwischen auch schon einiges zu bewegen und einzelne Protagonisten gehen bereits als Vorbilder voran.