Am 06. Juni wählen die Bürger in Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag. Die AfD hat reale Chancen als stärkste Kraft vor der CDU in das Magdeburger Parlament einzuziehen. Wir haben uns die Kampagne, die Strategien und die Werbemittel des Landesverbandes genauer angeschaut.
Am 06. Juni können die Bürger in Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag wählen. Umfragen deuten auf ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der AfD und der CDU an. Während das INSA Institut die AfD gar als stärkste Kraft prognostiziert, zeigen andere Umfragen die CDU vorne.
Wie wir bereits in unserem letzten Teil der Serie „Wahlkampfschnipsel“ ausgeführt haben, ist trotz der nicht übermäßigen Bedeutung des Bundeslands Sachsen-Anhalt das Ergebnis für die AfD ein wichtiger Indikator für die bundesweite Parteikampagne. Sollte die AfD hier als stärkste Kraft in den Landtag nach Magdeburg einziehen, so würde dieses Ergebnis auch massiven Rückenwind für die Wahlkämpfer im Bund und den Landesverbänden Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Berlin sein. Vom symbolisch-politischem Erdbeben für die Bundesrepublik ganz zu schweigen. Es gäbe Medienberichte, die von einem neuerlichen Dammbruch sprechen und Horrorszenarien von einer kurz bevorstehenden Abschaffung der Demokratie an die Wand malen.
Egal, wer am Ende im Rennen um das Siegerpodest zwischen CDU und AfD gewinnt, für die AfD wird es allemal ein Erfolg werden. Denn auch Platz 2 mit einem Ergebnis von über 20% zu halten, wäre nicht zuletzt angesichts der jungen Parteigeschichte eine respektable Leistung.
Die Wahlkampagne
Wie in den anderen Ost-Bundesländern auch ist Sachsen-Anhalt ein gesellschaftlich fruchtbarer Boden für konservativ-patriotische Positionen, die sich als deutlicher Protest zum herrschenden Altparteiensystem artikulieren. Insbesondere in den ländlich geprägten Regionen findet man hier breite Zustimmungen für die AfD und kann auf eine solide Stammwählerbasis zurückgreifen. Die Hemmschwellen und Berührungsängste mit der AfD sind im Osten naturgemäß geringer ausgeprägt.
Mit starken Ergebnissen von weit über 20% haben sowohl Sachsen, Thüringen und Brandenburg 2019 den Wiedereinzug in die jeweiligen Landesparlamente erreicht. Dies ist eine Zielmarke, die auch für den Landesverband in Sachsen-Anhalt gilt.
Mit welchen Minimal- und Maximalzielvorstellungen geht man also in eine solche Wahlkampagne? Die einfachste strategische Aufgabe für bereits etablierte Parteien in Wahlkämpfen mit realistischen 20% + X -Potentialen ist die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft. Man versucht, stets volatile Wechselwählerstimmungen zu entkräften und Vertrauen zur eigenen Zielgruppe herzustellen. Für Parteien, die schon länger auf dem politischen Markt aufgestellt sind, folgen solche Kampagnen immer wieder dem gleichen Muster – Vertrauen schaffen – Geschlossenheit zeigen und echten politischen Gestaltungswillen zum Ausdruck bringen.
Die AfD ist bereits mit weitem Abstand zweitstärkste Kraft Sachsen-Anhalt. Wie auch in Sachsen kann die Zielskalierung nur durch den Anspruch, als stärkste Kraft einzulaufen, nach oben geschraubt werden.
Obwohl Regierungsmehrheiten ohne AfD-Beteiligung gebildet werden, will natürlich niemand der AfD den symbolischen Erfolg, stärkste Kraft zu sein, gönnen. Es kommt zu einer massiven „Verhinderungsmobilisierung“ zugunsten der CDU und zu Lasten der kleineren Parteien. Was in Sachsen noch knapp funktioniert hat und die AfD auf den letzten Metern doch noch auf den zweiten Platz hinter der CDU verwiesen hat, könnte in Sachsen-Anhalt anders gelagert sein. Hier bröckelt der komfortable CDU- Vorsprung aufgrund massiver Vertrauensverluste durch Maskenaffären, Lockdown und die Kanzlerschaft von Armin Laschet und schlägt den kleineren Parteien in der Peripherie wie den Grünen oder der FDP Prozente zu. Während die AfD zwischenzeitlich in einer INSA – und Civey-Umfrage mit 26% angegeben wurde stagniert sie in anderen Umfragen auf ihrem Ergebnis von 2016 mit 24,3%. Die Strategie der AfD-Sachsen-Anhalt müsste also lauten:
Mit einem Motto unter dem Slogan „Wende 2.0“ wurde bereits 2019 von den Landesverbänden Sachsen, Thüringen und Brandenburg eine einheitliche AfD-Ost-Kampagne gefahren. Das Framing auf die politische Wendestimmung wurde in eine vor allem bei vormaligen Nichtwählern erfolgreiche Kampagne übersetzt.
In Sachsen-Anhalt ist eine konkrete Kampagne mit eigener exklusiver Visualität und eigenem Framing nicht direkt erkennbar. Der Slogan „Alles für unsere Heimat“, der die Plakate schmückt, unterstreicht zwar den bodenständigen und ortsgebundenen Patriotismus, aber lässt nicht wirklich eine übergeordnete Wahlkampfstrategie erkennen. Die Plakat- und Flyerslogans setzen auf simple und leicht verständliche Forderungen, die die Kernbotschaften der AfD transportieren und auf allzu große kreative Verrenkungen und Anspielungen verzichten.
Eine Kampagne, die klassisch nach dem „KISS-Prinzip“ (Keep it simple stupid) verfährt und ihrer Zielgruppe nicht mit zu großen Verständnisherausforderungen belastet. Alles kein innovativer Genuss für kreative Werber aber dennoch ein solider Grundbaukasten der Wahlkampfführung. Der Landesverband Sachsen-Anhalt bietet hier ein ziemliches Kontrastprogramm zur bundesweiten „Deutschland. Aber normal“ -Kampagne der Bundespartei. Während die Bundeskampagne auf harmonische und entwaffnende Attribute setzt, wirken die Plakate und Flyer aus Sachsen-Anhalt deutlich frontaler, angriffslustiger und appellierender auf den potentiellen Wähler. Hier wird sehr deutlich auf die bewährte Strategie der Protestwähleransprache gesetzt, die im Osten der Republik der Partei die bisher größten Erfolge beschert hat.
Digital und Straße
Auch in der Plattformauswahl und den Kommunikationsräumen setzt die Kampagne eher auf klassische Straßenformate. Der digitale Content auf den offiziellen Kanälen des Landesverbandes und den prominentesten Spitzenpolitiker ist überschaubar und scheint auch nicht mit besonderer Priorität bespielt zu werden. Statt vielfacher Kacheln mit Infografiken, Zitaten und inhaltlichen Positionierungen finden sich auf den Social-Media-Profilen meist bildliche Eindrücke von Kundgebungen, Flyerverteilungen und Plakatierungen. Die AfD Sachsen-Anhalt legt den Fokus vordergründig auf die Straße. Während in US-Wahlkämpfen inzwischen das Internet das dominierende Medium ist, setzen die Parteien in Deutschland weiterhin auf die klassischen Formate Plakate, Printprodukte, TV-Spots und Veranstaltungsformate auf der Straße. Online-Wahlkämpfe werden noch als Nebenschauplätze gesehen, was neben den politischen Kulturbedingungen jedoch auch an mangelnder Innovationskraft, begrenzter digitaler Ressourcenplanung und fehlenden Umsetzungswillen liegt.
Vom 25.05 – 31.05, also nur wenige Tage vor der Wahl wurden auf Facebook gerade einmal 115€ für Anzeigen und Beitragsoptimierungen ausgegeben. Zum Vergleich: Der größte Konkurrent gab im gleichen Zeitraum 5.412€ über das Facebook-Netzwerk aus. Die Linkspartei investierte sogar einen fünfstelligen Betrag in Höhe von 10.042€ in ihre Social-Media-Werbekanäle. Auch in der Contentfrequenz und bzgl. der Formate gibt es nicht viel Bemerkenswertes. Der am offiziellsten erscheinende YouTube-Kanal hat genau 7 Abonnenten und genau ein Video zur Wahlprogrammvorstellung hochgeladen. Der Wahlwerbespot wurde auf den Kanal eines Abgeordneten geladen und ist lediglich eine Copy-and-Paste-Einsetzung der Bundeskampagne „Deutschland. Aber normal“ und unterscheidet sich nur im Abspann durch den Austausch des Wortes „Deutschland“ in „Sachsen-Anhalt“. Auf Facebook und Instagram finden sich nur die Plakatdesigns, Bilder von Veranstaltungen und Terminankündigungen für Kundgebungen und Infostände. Eine konkrete Contentstrategie, die angepasst auf die jeweilige Plattform entsprechende Inhalte platziert, ist nicht erkennbar.
Die AfD setzt also nicht auf kleinteilige Differenzierungen und in die Spitze gehende Zielgruppenansprachen, sondern ignoriert fast schon die digitale Wahlkampfführung und konzentriert sich vollends auf den Straßenwahlkampf. Die Sichtbarkeit und Wahrnehmbarkeit im unmittelbaren öffentlichen Raum ist der entscheidende Faktor, der diese Kampagne prägt und fast schon in einer Art wahlkämpferischen und kommunikativen „Retro-Stil“ daherkommt.
Visualität
Dieser „Retro-Stil“ spiegelt sich auch im visuellen Erscheinungsbild der Wahlkampfmaterialien wider. Der Landesverband setzt auf das klassische AfD Corporate Design mit helleren Blautönen und knalligen Rotkontrasten. Das exklusive Merkmal der Materialien ist eine schwarz-rot-goldene Fahne mit leicht transparenten Verlaufsübergängen an den Rändern. Man hat bereits sehr viele verkorkste Einsätze von schwarz-rot-goldenen Designelementen in AfD-Parteigrafiken erlebt. Hier wirkt es jedoch nicht zu aufdringlich und gibt den meisten Designs einen ansprechenden farblichen Akzent. Ergänzt wird die Flagge mit einer Art handgeschriebenen Schriftart. Für Plakatwerbungen ist dies zumindest ein Wagnis, hier scheint jedoch eine gut leserliche Auswahl getroffen worden zu sein. Möglicherweise hätte die Schrift noch ein wenig kleiner gehalten werden können, um die farblichen Akzente der „Deutschlandfahne“ stärker hervorzuheben.
Typographisch setzt man bei den Hauptslogans auf die klassischen serifenlosen Schriften, die meist bei bestimmten Schlagwörtern in Kapitalen hervorgehoben werden. In vielen Designs werden jedoch auch etwas irritierende und asymmetrische Kombinationen zwischen normaler Groß- und Kleinschreibung und den ausschließlichen Großbuchstaben angewendet. Dies mag zwar das Ziel haben, bestimmte Begriffe deutlicher hervorzuheben, wirkt aber in der grafischen Gesamtbetrachtung unstrukturiert und inkonsistent. Insbesondere für die Plakatgestaltung gilt, bei der Typographie, dem Farbschema und dem Bildeinsatz das Auge nicht überzustrapazieren.
Der helle Blauton in den Plakaten scheint an einigen Stellen Kontrastprobleme zur weißen Schrift bereitet zu haben. Abhilfe verschaffen hier meist Verfahren wie farbliche Hintergrundformen oder, ganz simpel, ein je nach Schriftfarbe helleres oder dunkleres Farbschema. Die dritte Möglichkeit, die fast immer ein Design altbacken und unprofessionell aussehen lässt, sind Schlagschatten, die schließlich in der AfD Sachsen-Anhalt großzügig zur Untermalung der Typographie zum Einsatz kamen. In dezenter Ausführung können Schlagschatten durchaus ein hilfreiches Instrument für typographische Hervorhebungen sein. In den meisten Fällen sind sie jedoch ästhetisch wenig ansprechend.
Insgesamt betrachtet fügt sich das visuelle Erscheinungsbild in das sprachliche Framing dieser Kampagne. Alles ist schlicht gehalten mit Fokus auf die Kernaussagen. Dennoch weist die Kampagne einige grundlegende optische Schwächen in den Bereichen Typographieeinsatz und Farbgebung auf. Wirkliche Kreativität, die eine Qualitätssteigerung zu den vergangenen Wahlkämpfen der AfD erkennen lässt, findet sich in den grafischen Erzeugnissen jedoch leider nicht.
Fazit:
Die Schlichtheit der Kampagne und ihre Fokussierung in die Breite des Straßenwahlkampfes ist vermutlich für die Anforderungen einer maximalen Mobilisierungskraft am 06. Juni für die AfD und gegen die CDU strategisch notwendig. Bei einer Mission von 25% + X gibt es kein limitiertes Kernklientel, sondern man muss sich für eine kommunikative Tonalität entscheiden und diese auch strikt in den Wahlkampf integrieren. Dennoch gibt es gerade im Bereich des digitalen Marketings viele verschenkte Potentiale, die den Straßenwahlkampf in eine effiziente Symbiose mit den digitalen Formaten bringen könnten. Möglichkeiten hätte es viele gegeben: Ästhetisch zusammengeschnittene Videoeindrücke von den Veranstaltungen, professionelle Fotografien vom Wahlkampfalltag, eine eigene zur Interaktion einladende Kampagnenwebseite, kleinere Infoclips, Talkrunden, Imageclips der Kandidaten, ein dynamisch arbeitender Newsroom usw. wären nur wenige von vielen Möglichkeiten gewesen, die quantitative Power des Straßenwahlkampfes mit weiteren digitalen Kampagnenelementen gut zu ergänzen. Ob die digitale Performanceschwäche am Ende an organisatorischen Ressourcenmangel lag oder eine bewusste strategische Entscheidung war, kann man als Außenstehender nur schwerlich beurteilen. Fakt bleibt, dass man für die Kampagne in ihrer Gesamtheit deutlich mehr hätte herausholen können.