Die Serie „Wahlkampfschnipsel“ beobachtet und analysiert einmal pro Woche die neuesten Entwicklungen im Superwahljahr 2021 und seziert Chancen und Potentiale für die konservativ-patriotischen Kräfte in einem bedeutenden Jahr, welches die komplette politische Architektur der Bundesrepublik umkehren könnte. Wir schauen auf Strategien der anderen Parteien, identifizieren Schwächen und Stärken und schauen auf die strategischen Möglichkeiten, die sich insbesondere für die AfD ergeben.
Auf dem vergangenen Programmparteitag in Dresden beschlossen die Delegierten einen weiteren Aufschub der AfD-Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2021. Noch immer vom basisdemokratischen Ideal geprägt, haben sich die Delegierten am Ende für eines vom AfD-Bundesvorsitzenden Meuthen präferiertes Modell der Mitgliederbefragung entschieden.
Auf dem Parteitag selbst hätten voraussichtlich die beiden Bundesvorstandsmitglieder und Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla und Joana Cotar zur Verfügung gestanden. Dieses Team sollte die Balance innerhalb der Partei zwischen Ost- und West und zwischen nationalkonservativem und liberalem Lager abbilden. Offiziell bestätigt wurde diese Kombo zum Zeitpunkt des Parteitags zwar nicht, aber eine entsprechende Kandidatur war durch das Votum der Delegierten sowieso hinfällig.
Nun wurde sich auf das Verfahren einer Online-Mitgliederumfrage geeinigt, die vom 17 – 24.05 laufen soll. Mit Weidel/Chrupalla und Wundrak/Cotar stehen sich nun zwei feste Bewerberteams gegenüber. Chrupalla und Cotar kamen für eine gemeinsame Spitzenkandidatur offensichtlich nicht zusammen. Die genauen Hintergründe dazu bleiben bislang unklar.
Ohne Zweifel dürfte das Team Chrupalla/Weidel als Favorit gelten. Weidel ist nach wie vor eines der bekanntesten Gesichter in der AfD und Chrupalla hat als zweiter Parteisprecher eine komfortable Ausgangsposition. Diese Rolle konnte er die letzten zwei Jahre relativ unbeschadet und ohne größere Skandale ausfüllen. Nach ersten unsicheren TV-Auftritten und unvorteilhaften Interviewsituationen verbesserte er nach und nach seine PR-Arbeit und kommt nun insgesamt deutlich souveräner rüber.
Um seine Mitbewerberin Alice Weidel ist es in letzter Zeit etwas ruhiger geworden. Spendenskandale sowie ein schlechtes Wahlergebnis in Baden-Württemberg (welches sie als Landesvorsitzende automatisch mitverantwortet) haben sie zwar angeschlagen, aber keineswegs besiegt. Ein kürzlich durchaus sehenswerter Auftritt bei Markus Lanz zeigt, dass Weidel keineswegs ihre Bissigkeit verloren hat.
Auf der konkurrierenden Seite um die Spitzenkandidatur stehen schließlich Joana Cotar aus Hessen, Bundesvorstandsmitglied und digitalpolitische Sprecherin der AfD-Fraktion im Bundestag sowie Joachim Wundrak, Ex-General der Bundeswehr und jüngst gekürter Spitzenkandidat der AfD Niedersachsen.
Während sich Weidel und Chrupalla vor allem durch ihre Bekanntheit bei der Basis auszeichnen, hoffen Wundrak und Cotar auf Unterstützung aus dem Bürgertum. Vor allem die mustergültige militärische Laufbahn von Wundrak wird als Trumpf ausgespielt. Bildersuchen auf Google zeigen ihn auf Fotos mit der ehemaligen Bundesverteidigungsministerin bei gemeinsamen Pressekonferenzen. Manche AfD-Mitglieder mag dies irgendwie beeindrucken. Jemand mit tadelloser bundesrepublikanischer Vita, der früher Bundesministern die Hand geschüttelt hat, ist für viele die Projektionsfläche einer tieferen Sehnsucht, doch noch irgendwie „anzukommen“. Natürlich muss die AfD sich auch als attraktives Angebot für hochrangige Militärs, Polizisten, Beamte und andere gesellschaftliche Leistungsträger verstehen. Doch die teils naive Freude über derartige Parteineuzugänge, die innerhalb kürzester Zeit und ohne vorherigen Leistungsnachweis für die AfD „dazustoßen“, ist schon kurios und befremdlich. Die Lehren aus der Ära Lucke und aus Gestalten wie Hans Olaf Henkel sollten zu mehr Vorsicht mahnen.
Das Argument der Wundrak/Cotar-Unterstützer zielt in erster Linie darauf ab, dass beide als frische Gesichter für die Partei auftreten. Ihre Unbekanntheit wird euphemistisch als Erneuerung ausgelegt, die noch nicht ausgeschöpfte Wählerpotentiale erschließen soll. Abgesehen vom rein spekulativen Charakter solcher Aussagen scheint es doch eher entgegen politischen und kommunikativen Gesetzmäßigkeiten zu laufen, in weniger als fünf Monaten zwei für den normalen Wähler völlig unbekannte Gesichter in der AfD aufzubauen. Imagebildung ist ein langwieriger Prozess. Aufzuholen, was hier Chrupalla und Weidel bereits als „Standing“ haben, geschweige denn die gleiche Relevanz der Nachrichtenlogik zu erhalten wie ein Laschet, Scholz oder Baerbock, ist ein aussichtsloses Unterfangen. Warum wohl hat die SPD zunächst nicht einen ihrer beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken oder Norbert Walter Borjans aufgestellt? Einerseits natürlich als Zugeständnis an den unterlegenen Olaf Scholz in der Vorsitzendenwahl, aber andererseits die Erkenntnis darüber, dass Wahlen nur mit bekannten Gesichtern wie Olaf Scholz gewonnen werden können. Auch wenn die SPD aktuell von größeren Erfolgen weit entfernt ist.
Es entsteht der Eindruck, dass das Duo Cotar und Wundrak als erster Testballon des Meuthen-Lagers zur Überprüfung der Zustimmungswerte an der Basis gestartet wird, um dadurch einen Punktgewinn im parteiinternen Machtkampf zu erzielen. Für den Wahlkampf haben beide Teams leider keine besonderen Konzepte und Ideen präsentiert. Beide Duos betonen stets alle Strömungen in der Partei vertreten zu wollen und beschwören die Einheitlichkeit für den Wahlkampf, aber die Präsentation einer personellen Imagekampagne, innovative politische Ideen, konkrete kommunikative Tonalitäten und inhaltliche Forderungen bleiben aus. Stattdessen nur vage Begriffe von „bürgerlich-konservativ“, „Einheit der Partei“ und „Strömungsübergreifend“.
Es ist verständlich, dass niemand in der angespannten Lage der Partei den Kopf zu weit ausstrecken möchte. Die Mitglieder reagieren aktuell hypersensibel auf jeden Fehltritt. Doch eine Art Spitzenduell in wohlwollender Konkurrenz und respektvoller Atmosphäre, so wie es auch bei der SPD oder der CDU geführt wurde hätte den ganzen Kandidatenfindungsprozess durchaus belebt. Leider scheint die Partei aktuell jedoch nicht in der Lage zu sein, eine derartige Diskurskultur zu entwickeln, die auch wichtige strategische Fragestellungen für die künftige Ausrichtung hätten klären können.
Wie auch immer diese Wahl ausgehen sollte, ist damit noch keine Vorentscheidung zur parteiinternen Spaltungsfrage getroffen. Diese Frage muss noch mindestens bis zum Bundesparteitag im November 2021 warten. Die Spitzenkandidatur hat rein repräsentativen Charakter. Sie qualifiziert jedoch noch nicht automatisch zu mehr Macht- und Administrationsbefugnissen innerhalb der Partei.
Dissens in Personalfragen kam bei den Grünen nicht auf. Die beiden aussichtsreichen Kandidaten Habeck und Baerbock verständigten sich kurzum im Hinterzimmer darauf, dass ein weibliches Gesicht an der Spitze besser rüberkäme.
Kaum überraschend wird nun Annalena Baerbock die Grünen anführen, mit inzwischen durch Umfragen bestätigte, reelle Chancen auf den Kanzleramtszugriff. Was die Grünen die letzten beiden Wochen erlebt haben, ist definitiv eine „Best Case“ Situation, um in ein Wahljahr zu starten. Das Vorsitzenden-Duo hatte über die letzten beiden Jahre kontinuierlich an einem harmonischen Image gearbeitet. Es gab auch nur sehr wenig Skandale, die medial aufgegriffen wurden und Streitigkeiten wurden intern geklärt.
Mit der recht geräuschlosen choreographierten Kandidatenkür folgten dann die Exklusivinterviews, Fernsehauftritte und Portraits in den Medien. Bei den Öffentlich-Rechtlichen scheint man bereits jegliche Hemmungen ob der unverhohlenen Unterstützung für die Grünen verloren zu haben und erweckt den Eindruck, dass man bereits inoffizieller Verbündeter ist im Kampf um das Kanzleramt für Annalena Baerbock.
Noch überschattet Corona die Nachrichtenlage vor allen anderen Themen. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Klimaschutzzielen der Bundesregierung deutet sich jedoch wie schon im Europawahlkampf 2019 das Klima- und Umweltthema als eines der zentralen Inhalte im Bundestagswahlkampf an. Alle Parteien versuchen irgendwie an das Thema anzuknüpfen. Getrieben von der Panik vor aktuellen Umfragewerten, versucht die Union hektisch ihre Klimaschutzmaßnahmen nochmals zu verschärfen. Das strategische 4D-Schach aus dem Konrad- Adenauer-Haus wirkt auf manche Beobachter schon recht grotesk, wenn man bedenkt, dass aller Voraussicht nach der Union am Ende eh nur die Regierungsfortführung mit den Grünen im Bunde bleiben wird.
Für die AfD sind allerlei Regierungsbeteiligungen und „bürgerliche Koalitionen“ noch in weiter Ferne. auch wenn manche immer noch davon träumen wollen und in der Schlacht des CDU-Machtkampfes Maaßen und seine Werte Union als triumphierenden Sieger emporsteigen sehen. Der AfD bleibt also auch bei diesem Bundestagswahlkampf die Rolle des Antagonisten. Ihre dazu gewählte Kampagne „Deutschland. Aber normal.“ werden wir noch ausführlich in einem Artikel Ende dieser Woche besprechen.
Eigentlich sind es für die AfD aktuell sehr günstige Wahlkampfbedingungen. In Sachsen-Anhalt hat sie reale Chancen, die CDU einzuholen oder mit einem starken zweiten Platz weiterhin die Oppositionsführerschaft für sich zu beanspruchen. Ein Erfolg in Sachsen-Anhalt würde auch massiven Rückenwind für den September mitgeben. Sollte es die Partei schließlich schaffen, ihre eigene Kampagne mit einer lebhaften und empathischen Erzählung des „Normalen“ zu verknüpfen und zugleich ihre innere Zerstrittenheit überwinden, wären auch Steigerungen der Ergebnisse im Vergleich zu 2017 bis an die 15% absolut möglich.
Das gesamte Parteienspektrum orientiert sich jetzt an den Grünen und versucht Themen zu kopieren, um sich gleichzeitig widersprüchlich und peinlich abzugrenzen. Schon jetzt ist klar dass, sollten Klima und Umwelt die beherrschenden Wahlkampfthemen werden, „Kobold-Witze“ über Annalena Baerbock oder Verweise auf ihre Inkompetenz und ihre zweifelhafte Bildungsbiographie nicht ausreichen werden.
Es geht darum, an die Lebensrealitäten der Menschen anzuknüpfen, die schwere ökonomische und soziale Nachteile durch die Klimaschutzmaßnahmen der Grünen erleiden werden müssen. Dafür muss man keine wissenschaftlichen Debatten über den menschengemachten Anteil am Klimawandel eröffnen oder Bilder von Schneelandschaften posten mit ironischen Beschreibungen wie „Wo ist denn jetzt der Klimawandel?“.
Der Klimaschutz der Grünen ist vor allem ein Programm der Privilegierten gegen die Normalbevölkerung, die auf PKW-Mobilität angewiesen ist und für die jede Steuererhöhung für Klimaschutzmaßnahmen ein unnützes Zusatzgewicht auf ihren ohnehin strapazierten Schultern darstellt.
Dies dürften in der AfD gewiss viele bereits erkannt haben, nur muss sich dies langsam auch im Framing und in der Kommunikation niederschlagen. Für die kleine ländliche Familie sind die Maßnahmen der Grünen eine reale Bedrohung ihrer Lebenswelt. Ihre letzten politischen Advokaten bei der AfD sollten sich daher auch auf die relevanten Schlachtfelder begeben und die richtige Balance finden zwischen schenkelklopfartiger Satire gegen die Grünen und einem ernsthaften programmatischen und kommunikativen Gegenangebot. Die AfD müsste die Erzählung der „Vergessenen“ aufgreifen. Menschen die keine 76 Geschlechter kennen. Menschen die nicht im Minderheitenquartett der „Critical Race Theory“ oder „intersektionalen“ Feministinnen zur Geltung kommen. Menschen die tatsächlich das „Normale“ präsentieren. Insoweit kann der Claim der dazugehörigen AfD-Kampagne einiges an Potential entfalten und muss in ein positives, verständnisvolles und lebensnahes Storytelling gepackt werden.