Welche Schlüsse müssen nach
Baden-Württemberg und Rheinland Pfalz folgen?

Nach Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist vor der Bundestagswahl und vier weiteren wichtigen Landtagswahlen. Den zahlreichen internen Analysen müssen nun auch praktische Vorbereitungen folgen. Was vielen Aufarbeitungen der Wahlergebnisse noch fehlt sind die richtigen Erkenntniswerkzeuge, die in der konkreten Kampagnenmodellierung für die kommenden Monate griffbereit sein müssen.

Der Fokus muss dringend auf Organisation und Koordination gesetzt werden anstatt auf Machtkampf und Verbitterung. Abrechnungen, Personalneubesetzungen und die Mobilisierung von Parteitagsmehrheiten stehen frühstens im November an. Vorerst hat man jedoch noch eine historische Aufgabe am 26. September zu erledigen.

Nun ist es doch schlimmer gekommen, als erwartet: Die AfD ist in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg recht eindeutig zum Wahlverlierer des Abends geworden. In Baden-Württemberg wurden mit -5,4% die stärksten Verluste eingefahren. Hier verlor man in den absoluten Stimmen sogar fast die Hälfte der eigenen Wählerschaft. In Rheinland-Pfalz schaute es mit einem Verlust von -4,3% nur unwesentlich besser aus.

Nun geht das große Fragen nach dem bekannten Interviewmeme „Woran hat et jelegen“ wieder los und die Muster zur Erklärung von schlechten Umfragewerten und nun auch miserablen tatsächlichen Ergebnissen erzeugen bei manchem Beobachter ein Déjà-vu. Es ist die immer gleiche Platte, die aufgelegt wird, wenn der Durchbruch der 20%-Mauer wieder einmal nicht erreicht werden konnte und die Diffamierung von Medien und Establishment einfach nicht aufhören will.

Die AfD müsse bürgerlicher, seriöser, staatstragender werden, ihre parlamentarische Arbeit professionalisieren und einfach nur öfter bei Markus Lanz und Anne Will eingeladen werden. Wenn doch nur weniger Wahlplakate zerstört würden und die Antifa aufhörte, unsere Infostände zu sabotieren, dann stünde der kommenden Regierungsbeteiligung scheinbar nichts mehr im Wege.

Jeder Erklärungsversuch hat einen richtigen Punkt und geht dennoch an den entscheidenden Problemen vorbei. Die Fehler und das Versagen sind hausgemacht und strukturell vor allem innerhalb der eigenen Partei zu suchen! Und nein, wir meinen auch nicht, dass der Austritt von Höcke und seiner Gefolgschaft die Lage an irgendeiner Stelle verbessern würde.

Zunächst zu den Erklärungsversuchen der letzten Tage, die man zuvorderst aus dem Bundesvorstand und auf der Pressekonferenz der Spitzenkandidaten und von Jörg Meuthen vernehmen konnte.

  1. „Wir müssen bürgerlicher und seriöser auftreten“
    Ja, die AfD ist in Deutschland ein Novum. Keine andere Partei rechts der CDU konnte so schnell in so kurzer Zeit wachsen. Das verdankt sie natürlich auch ihren Fürsprechern in der Beamtenschaft, den Professoren, Offizieren, Dozenten, Lehrern, etc. Sie kann Akteure und Mandatsträger mit glänzenden Biographien aus Staatsdienst und Unternehmerschaft präsentieren. Diese Aushängeschilder waren und sind ein wichtiger Stabilitätsfaktor, der die AfD vermutlich auch dauerhaft im bundespolitischen Parteienspektrum verankern konnte.

    Doch neben der viel gepriesenen „Bürgerlichkeit“ muss auch konstatiert werden, dass die AfD vor allem Protest und Unzufriedenheit mit der herrschenden politischen Klasse bündelt. Dieses Wählerspektrum greift in die unterschiedlichsten sozialen Räume und lässt sich kaum auf bestimmte sozioökonomische oder demographische Faktoren eingrenzen. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben wieder einmal gezeigt, dass es vor allem Arbeiter, Arbeitslose und Selbstständige waren, die der AfD ihre Stimme gegeben haben. Die geringste Zustimmung fand die Partei bei Staatsbediensteten und Rentnern. Bei der Hauptwählerschaft handelt es sich also um Menschen, deren Erwerbsbiographien in der globalisierten Welt zunehmenden Schwankungen ausgesetzt sind und die nicht mehr an das unendliche soziale Aufstiegsversprechen der politischen Entscheidungsträger glauben. Nähere Analysen dazu gab es bereits hier, hier und hier

    Ob man auf dieser Erkenntnis aufbauend ein politisches Konzept des „Solidarischen Patriotismus“ entwirft, sei dahingestellt und wird bereits an vielen anderen Stellen debattiert. Fakt ist, dass die AfD sowohl in Habitus und Programmatik weiterhin all jene Menschen abholen muss, die eine gewisse Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen eint. Daran muss sich auch das Setting für die kommenden Wahlkämpfe orientieren. Es braucht: Zielgerichtete, populistisch zugespitzte Claims und Slogans, eine visuelle Kommunikation, die emotionalisiert und Aufbruchsstimmung signalisiert, sowie Kandidaten, die nicht den glattgeschliffenen „Politikersprech“ adaptieren, sondern als authentische „Machertypen“ mit starker Verwurzelung im Volk erscheinen. Es mag wie eine Binsenweisheit klingen, aber die AfD kann am Ende nur überleben, wenn sie die Balance zwischen bürgerlicher Seriosität und ihrer Rolle als Advokat der vergessenen Deutschen und der sozioökonomisch Ausgebeuteten findet. Aktuell streben jedoch beide Flügel in der Partei nach dem Showdown zwischen diesen beiden strategischen Wegen und fügen so der Partei in diesem unendlich wichtigen Wahljahr großen Schaden zu.

    Es ist übrigens bemerkenswert, dass Meuthen und weitere Parteifunktionäre den einzigen internen Fehler in der mangelnden „bürgerlichen Seriosität“ zu finden glauben und auch nicht die Gelegenheit auslassen, gegen einzelnen Strömungen und Mitglieder innerhalb der eigenen Partei zu schießen. Wir haben in einem Podcast mit dem „Konflikt Magazin“ bereits klargestellt, dass man durchaus fragen kann, ob das Scheitern patriotischer Ansätze rechts der CDU durch Radikalisierungsspiralen bedingt war, die Bedenkenträger um Meuthen womöglich also in diesem Punkt Recht haben. Mit dieser Frage werden wir uns ausführlich in einem anderen Artikel beschäftigen.

  2. Mediale Verleumdnung und Schweigespirale

    Auch die gespielte Karte der medialen Schweigespirale und permanenten Diffamierung durfte in den Analysen des Bundevorsitzenden Jörg Meuthen und der Spitzenkandidaten in BaWü und RLP nicht fehlen. Diese Probleme spielen natürlich eine Rolle, ihre „Feststellung“ ist aber damit vergleichbar, als würde ein erwachsener Mensch feststellen, dass Wasser tatsächlich nass und Feuer heiß ist. Es wird sich im Kreis gedreht und der eigene Misserfolg auf unveränderliche externe Tatsachen geschoben. Die präsentierte Lösung (bürgerlicheres und seröseres Auftreten, damit man bei Anne Will keine kritischen Stimmen befürchten muss) bleibt immer auch abhängig vom Wohlwollen der politischen Konkurrenz.Ab welchem Grad der Bürgerlichkeit könnte man denn mit Talkshoweinladungen, Exklusivinterviews in der FAZ und einem allgemein fairen Umgang des Establishments rechnen? Wie weit müsste die rhetorische Abrüstung reichen, um als gleichberechtigter politischer Akteur im parlamentarischen Spielfeld akzeptiert zu werden? Natürlich geht es bei dem Kurs von Jörg Meuthen & Co nicht nur darum, bei Maischberger und Anne Will fair behandelt zu werden, sondern um die maximale Diskrepanz zwischen dem medialen Zerrbild und dem realen Auftreten der Partei. Doch Meuthen und andere müssen in diesem unsäglichen Richtungsstreit wenigstens klar definieren, ab welchem Punkt X die Hetze und Diffamierung ihrer Vorstellung nach aufhören würde.Muss dafür nur Björn Höcke die Partei verlassen? Welche Form der rhetorischen Abrüstung wäre dafür erforderlich? Wenn schon eine im Kern vollkommen destruktive Strategiedebatte im Wahljahr 2021 geführt werden soll, dann doch wenigstens mit konkret bestimmbaren Begrifflichkeiten.

    Was die möglichen Reaktionen auf das mediale Schweigen betrifft, so haben wir an anderer Stelle bereits wichtige Bausteine für eine AfD-Medienkampagne skizziert. Vor allem die digitalen Kampagnen aus RLP und BaWü zeigen noch deutliche Defizite, die dringend abgestellt werden müssen. Die AfD muss in der Modellierung ihrer Medien- und Wahlkampfstrategie für die Bundestagswahl 2021 folgende fünf Punkte berücksichtigen

  • Ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass es überhaupt so etwas wie eine Strategie braucht.

    Contentproduktion, bezahlte Werbung und der Einsatz der richtigen Plattformen müssen organisiert und koordiniert werden. Hier muss echte Kampagnendisziplin mit klaren professionellen Hierarchien und Strukturen hergestellt werden. Man wird hier nicht um zentralisierte „Newsroom“-Modelle umhinkommen, in denen das Social Media-Management, die Videoproduktion, die Grafikabteilung und die Werbeanalytik zusammengefasst werden. Diese räumliche Zusammenfassung aller digitalen und medialen Kampagnenbausteine ist nicht zu unterschätzen und gilt in den USA bereits als kommunikative Standardinfrastruktur.

  • Ansprechendes und wirksames „Corporate Design“.

    Man kann die visuelle Kommunikation nicht länger nur den „Hobby Photoshoppern“ (Thor Kunkel) überlassen. Grafikdesign ist mehr als nur das Verständnis der Funktionsweise von Illustrator, Photoshop und InDesign. Hier braucht es ein einheitliches Auftreten, was Ästhetik und Funktionalität in einem verbindet. Über die Anforderungen und Notwendigkeiten einer visuellen Kommunikationsbasis, die was her macht und nicht einfach schnell vom Kreisverbandsvorsitzenden zusammengeschustert wird, der vor 10 Jahren mal einen Volkshochschulkurs mit Photoshop besucht hat, referierte der Kampagnenchef der AfD Wahlkampagne Thor Kunkel in einem kürzlichen Livestream mit dem Deutschland- Kurier.

  • Zentrales Management und Verwaltung von Zielgruppendaten aus verschiedenen sozialen, ökonomischen und demographischen Clustern.

    Wahlen werden heute mittels der Daten über die eigenen Zielgruppen gewonnen. Große Wahlkampfagenturen wie Campaigning Bureau (Sebastian Kurz/Kanzlerwahlkampf), Jung von Matt (CDU- Kampagne) oder auch Cambridge Analytica (Trumps Vorwahlkampf 2016) arbeiten mit riesigen Datensätzen, um haargenau und personalisiert die jeweiligen Zielgruppen mit den richtigen Texten, der richtigen Story und der richtigen Werbeanzeige abzuholen.

    Parteinahe Stiftungen von der CDU bis zu den Grünen haben jahrelang politikwissenschaftliche Vorarbeit geleistet und wissen um die Datenlage ihrer Kernwählerschaft. Hier wäre die Desiderius Stiftung unverzüglich zu beauftragen, eine Task Force aus Politikwissenschaftlern, Soziologen, Datenanalysten und Statistikern zu bilden, die sich die kommenden 2 Monate vollständig einschließen und Wahlergebnisse und Wählerwanderungen sowie geographische, soziale und ökonomische Strukturdaten auswerten, deren Ergebnisse dann schnellstmöglich in die Kampagnenstruktur integriert werden.

  • Vereinheitlichung der Wahlkampfstrategie für die Gesamtpartei.

    Die Kommunikationskampagne muss auch an der Basis akzeptiert werden. Sie muss kompakt, verständlich und vermittelbar sein und den Mitgliedern die Gewissheit und Motivation geben, dass sich ihr voller Einsatz in den kommenden Wochen und Monaten lohnen wird. Ca. 2 Monate vor der heißen Wahlkampfphase muss das engere Kampagnenteam durch die Landes- und Kreisverbände touren und den Mitgliedern Vertrauen und Aufbruchsstimmung vermitteln. Dies muss mit einem entsprechenden Appell und mit praktischen Handlungsoptionen verbunden sein. Es braucht verschiedene Einstiegsstufen für jedes einzelne Mitglied, je nach Exponierungsbereitschaft und zeitlichen Ressourcen, damit jeder seinen Beitrag zum Erfolg dieser Wahlkampagne leisten kann. Auch entsprechende Trainings- und Schulungsangebote für Kandidaten und Kreisverbände zur Nutzung der jeweiligen Kampagnentools müssen in diesem Planungsbaustein ihren Platz finden. Die Partei braucht eine Art „Wahlkämpfer-Akademie“ oder „Kampagnen-Universität“.

    Warum lässt man sich nicht auch aus professionellen Quellen inspirieren und holt sich Expertise aus dem Ausland ins Boot? Wann wird die Kampagnenarbeit zu einem Schwerpunkt in der parteiinternen Mitgliederschulung und Weiterbildung? Wann werden die ersten Delegationen zu Erkenntnis- und Bildungszwecken in die USA geschickt, etwa in Form eines zweimonatigen Praktikums in den Breitbart-Redaktionen, bei FOX News oder in den „War Rooms“ der dortigen republikanischen Partei? Es braucht Treffen und einen konkreten praktischen Austausch mit den Kampagnenteams von Nigel Farage, Marine Le Pen und Salvini. Dabei geht es weniger um das Ausloten politisch-inhaltlicher Überschneidungen, als um die Entwicklung eines eigenen Gespürs dafür, wie andere bereits erfolgreiche konservative und rechte Akteure Wahlkämpfe, Kampagnen und die Medienarbeit gestalten und organisieren.

  • Nutzung von Influencern und des vorpolitischen Umfeldes.

    Nach unzähligen Vernetzungsveranstaltungen mit den „freien Medien“ muss die Partei den nächsten Schritt wagen und über das Happening der Sekt- und Schnittchenveranstaltungen mit alternativen Medienmachern hinauswachsen. Es braucht praktische Konzepte, wie sympathisierende freie Medien effektiv in den Wahlkampf eingebunden werden können.

    Das kann der exklusive Livestream bei einer Wahlkampfveranstaltung sein, die Dokumentation und das Interview mit einzelnen spannenden Kandidaten, eigene Talkshows, Weiterleitung von Exklusivberichten, gemeinsame Online-Radioshows und Podcastformate, virale Mikrokampagnen mit bekannten Gesichtern der patriotischen Opposition auf Instagram & Co. Darauf aufbauend muss es mittelfristige Unterstützungsfonds für junge alternative Medienmacher sowie konstruktive und wettbewerbsanregende „Challenges“ für die besten und kreativsten Unterstützungskampagnen geben. Die Grünen hatten zur Europawahl 2019 ihren Rezo, jetzt gilt es die Potentiale der patriotischen Rezos zu identifizieren und zu fördern.

3. Corona und Antifa-Sabotage sind schuld.

Damit kommen wir auch zum letzten Erklärungsversuch der Parteispitze. Auch die Feststellung von gewalttätigen Antifa-Übergriffen oder mangelnden Großveranstaltungsmöglichkeiten wegen Corona kommen nicht unerwartet und sind auch nicht neu. Zumindest letzteres war das Handicap, mit dem die anderen Parteien gleichermaßen kämpfen mussten. Auch die anhaltende linksextremistische Gewalt ist ein Skandal. Sie wird sich jedoch im Bundestagswahlkampf fortsetzen und möglicherweise auch nochmals verstärken.

Entscheidend ist wieder einmal weniger die Kritik an der Aussage selbst, sondern das offensichtliche Fehlen analytischer Werkzeuge der Parteiführung, um diese Wahlniederlage richtig zu erfassen. Teilweise sah man schon Tweets, wie von dem Bundesvorstandsmitglied Joana Cotar, die die völlige Ratlosigkeit offenbarten, indem sie ihr Unverständnis für das hohe Wahlergebnis für die Grünen in Baden-Württemberg zum Ausdruck brachte und indirekt den Wählern die Schuld gab.

Wenn dies auch ein besonderes Negativbeispiel ist, so steht es doch sinnbildlich für den Zustand einer Partei, die noch 6 Monate vor 4 richtungsweisenden Wahlen (Bundestag, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Thüringen) steht und nicht einmal den Ansatz einer echten Strategie erkennen lässt. Doch diese Wahlen 2021 sind zu wichtig, als dass man sich von den aktuellen Zuständen in der AfD demoralisieren lassen sollte. Jeder Funktionär, jedes Parteimitglied ist jetzt angehalten, sich aus den internen Konflikten, Personaldebatten und Streitigkeiten herauszuziehen und sich voll und ganz den Ideen, der Organisation und Koordination des Wahlkampfes zu widmen. Der Parteitag, wo die Fetzen fliegen können und Abrechnungen folgen, ist im November. Jetzt gilt es jedoch, die uneingeschränkte Priorität und Fokussierung auf den 26. September 2021 zu legen!

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