Populismus als Mobilisierungsstrategie
Donald Trump

Trotz der Niederlage hat Donald Trump unglaubliche Zugewinne in der Wählerschaft zu verzeichnen und dies trotz einer vier Jahre lange währenden Kampagne gegen seine Person und Politik. Wer sind seine Wähler und wie sah seine Wahlkampfstrategie aus?

Im November 2016 ist das Phänomen des sogenannten Populismus final im globalen Bewusstsein angelangt. Seit Jahrzehnten gibt es verschiedene Erklärungsmodelle für populistische Bewegungen, Gruppen und Parteien. Unter der Deutungslupe des linken Establishments wird der Populismus zumeist abschätzig bewertet und mit einer moralischen Vorverurteilung aufgeladen. Elitenfeindlichkeit, Auserwähltheit einer bestimmten politischen Position und Reklamation der Stimme des Volkes werden meist als Merkmale des Populismus zusammengefasst, die sowohl in linker als auch in rechter Spielart auftreten können. Durch die linke Deutungshoheit verkommt der Populismus jedoch stets zu einem reinen ideologischen Kampfbegriff, wodurch ernsthafte politische Annährungen selten stattfinden und programmatische Konzepte einer populistischen Bewegung kaum scharfe Konturen und konkrete praktische Ansätze enthalten.

Der Populismus bleibt somit eine weitgehend abstrakte politische Kategorie, die eher als Beschreibung anstatt als idealisierte, gesellschaftspolitische Umsetzungsstrategie gesehen wird. Er ließe sich besser auch als ein politemotionaler Gemütszustand beschreiben. In der nachfolgenden Artikelserie wollen wir die Strategien, Erfolge und Chancen des internationalen Rechtspopulismus genauer unter die Lupe nehmen und nutzen dabei auch bewusst die Begrifflichkeit des Populismus, um einerseits die Verständlichkeit zu wahren und andererseits sich dem Rechtspopulismus ohne Scheuklappen zu nähern und das Phänomen tatsächlich als das zu verstehen, was es ist: Ein fundamentaler Antagonismus zur sogenannten „Konsensdemokratie“, in der sich die politischen Programme stets an einer abstrakten Mitte orientieren und kaum mehr gegensätzliche Antipole aufweisen, die als Einstieg in eine echte Diskurskultur jedoch notwendig sind.

Donald Trump

Für viele mag die (wahrscheinliche) Niederlage Trumps bedauerlich gewesen sein (Spekulationen über mögliche Manipulationen wären an dieser Stelle müßig und würden am eigentlichen Thema des Artikels vorbeigehen). Für das linke Establishment glich sie jedoch der großen Befreiung von einem „Teufel“, der vier Jahre lang das Weiße Haus okkupiert hatte. Die Erleichterung war für sie vermutlich umso größer, da es entgegen der Umfragen nur ein denkbar knappes Rennen um die Präsidentschaft in den USA gab. Viele befürchteten eine Wiederholung der Ereignisse des Novembers 2016, als Demoskopen eine 90prozentige Wahrscheinlichkeit für einen Wahlsieg von Hillary Clinton errechneten und die Geschichte bekanntermaßen einen anderen Verlauf nahm. Die anschließende große Hoffnung der Demokraten lag somit auf einer baldigen Entzauberung Trumps, um somit spätestens 2020 mit den Erfahrungen aus den Fehlern von 2016 erneut anzugreifen. Man erwartete, dass die Diskrepanz zwischen dem Wahlkämpfer Trump und dem Präsidenten Trump auch von seinen Wählern aus dem Jahr 2016 wahrgenommen werden würde und sie ihm den Rücken kehren würden. Die Zahlen aus 2020 belegen jetzt etwas anderes.

Trump gewann im Vergleich zu 2016 sogar knapp 10 Millionen Stimmen hinzu. Den Medien war es natürlich eine große Sensationsberichterstattung wert, dass Biden mit seinen 79 Millionen absoluten Wählerstimmen den Rekord von Obama 2008 gebrochen hatte. Doch auf Platz 2 dieses Rankings folgt nun nicht Obama,  sondern Donald Trump, der die zweitmeisten Stimmen in einer amerikanischen Präsidentschaftswahl erhalten hat. Solche Zahlen verdeutlichen die riesigen Dimensionen der Mobilisierungswucht, mit der diese amerikanische Wahl in die Geschichtsbücher eingehen wird.

Die Mobilisierung

Die gesamte US-Wahl wurde ausschließlich durch die Person Donald Trump entschieden. 34% aller demokratischen Wähler entschieden sich primär für Biden, um Trumps Präsidentschaft zu beenden. Auf republikanischer Seite war die Überzeugung für den eigenen Kandidaten mit knapp 89% deutlich höher. Eine große Trump-Wählerkoalition gegen die Person Biden war nicht erkennbar. Auch das mindestens vier Jahre lang andauernde Propagandafeuer gegen Trump scheint bei seinen Anhängern wirkungslos verpufft zu sein. Nur einige wenige  Wahlkreise in den einzelnen Bundesstaaten wechselten die Farbe vom republikanischen Rot hin zum demokratischen Blau.

Die USA sind ein rotes Meer mit einzelnen blauen Inseln, die nur an der Ost- und Westküste etwas häufiger auftreten. Doch wie bei jeder demokratischen Wahl zählt am Ende immer die absolute Wählermasse und nicht die Landfläche. Während Trump also die ländlich geprägten Regionen mit weiten Abständen dominiert, räumt Biden in den bevölkerungsreichen Großstädten ab und kann hier offensichtlich deutlich mehr Wähler mobilisieren als Clinton 2016. Die Ambivalenz zwischen Stadt und Land ist der wahrscheinlich ausschlaggebende Faktor für den Ausgang der US-Wahl 2020 gewesen. Ein Befund, der sich auch international bestätigt hat.

Egal ob in Deutschland die AfD, der Brexit in Großbritannien oder der Front National in Frankreich: Der „Populismus“ ist überall dort stark, wo die Menschen ländlicher leben, ein erhöhtes Aufkommen von Industriearbeiterschaft und verarbeitenden Handwerksbetrieben besteht und das kollektive mentale Empfinden entschleunigter und konservativer geprägt ist. In den Großstädten, wo insbesondere die Finanz- und Digitalwirtschaft auf gut ausgebildete Beschäftigte zurückgreifen kann und das Einkommen überdurchschnittlich hoch ist, regieren vordergründig linksprogressive Parteien, deren Milieu ein neues abgekapseltes Bürgertum repräsentiert.

Der Kulturkonflikt

Viele Beobachter vermuteten, dass die Black-Lives-Matter Bewegung in den USA Trump schaden würde, da sie den vermeintlichen strukturellen Rassismus im Land aufdecke und mit Trump ein simpel zu markierendes Ziel ausmachen könne. Doch der erwünschte Effekt stellte sich auch hier nicht ein. Das Aufbrechen amerikanischer Gesellschaftskonflikte beförderte bei Trump-Anhängern die Überzeugung, dass ihr Präsident das Chaos der BLM-Proteste aufhalten und Recht und Ordnung durchsetzen werde. 59% aller Biden Wähler gaben an, dass die Weißen von ihrer Hautfarbe im amerikanischen System überdurchschnittlich profitieren würden. Auf Seiten Trumps stimmten nur 5% dieser These zu. Die Kernwählerschaft populistischer Parteien und Bewegungen interessiert sich nicht für die modernen linken Ideologien wie Gender-Mainstreaming, Antirassismus oder Feminismus. Diese Ideologien arbeiten mit klaren Feindzuschreibungen („alte weiße Männer“), die in ihrer Grundlage immer schon einen Schuldigen für die Unterdrückung der angeblich entrechteten Minderheiten enthalten und somit automatisch eine Gegenreaktion bei den Angeklagten hervorrufen. Dass Trump die in die Ecke gedrängte weiße und männliche Arbeiterschaft aufnahm, wurde von ihr honoriert. Somit ist der Populismus besonders dann stark, wenn er sich gesellschaftlichen Gruppen widmet, die tatsächlich von Abstiegssorgen, sozialen Ängsten, Unterdrückungen und Maßregelungen betroffen sind. Anders ist es im linken Milieu, wo diese vermeintliche Unterdrückung nur einem ideologischen Idealbild folgt, welches sich aber kaum mit den realen Verhältnissen deckt. In den USA gibt es bspw. längst College-Programme, in denen Schwarze und Latinos gesetzlich geregelte einfachere Zugangsvoraussetzungen haben. Trump widmet sich der Probleme, die im tatsächlichen Lebensalltag der Menschen eine Rolle spielen und nicht als abstrakt oder nur bedingt sichtbar wahrgenommen werden.

Der Wahlkampf

Trump setzte vordergründig auf sein bewährtes Konzept der 2016er Kampagne in Form der sogenannten „Rallys“ und spielte somit erneut seine Stärke als Entertainer aus. Die Rallys mit mehreren tausend Anhängern waren perfekt durchgeplante Events, bei denen Trump die eigene Anhängerschaft motivieren konnte und eine nahbare Verbindung zu seiner Persönlichkeit schaffte. Seine klare Kante in den Wahlkampfreden bescherte ihm schließlich die ungeteilte Aufmerksamkeit der Medien, die jeden Skandal und jede kleinere Provokation aufnahmen. Zugleich wurden die Rallys sowohl von Teilnehmern als auch dem eigenen Wahlkampfteam über verschiedene Plattformen ins Netz gestreamt, wodurch Trump den zweiten Joker durch seinen Einfluss in den sozialen Medien ausspielen konnte. Hier zeigt sich, dass Trumps große Stärke aus der Kommunikation über Medienkanäle resultiert, die keiner zentralen Kontrolle oder Redaktion unterstehen. Die Dynamik von Social Media und großen Wahlkampfevents ist nicht auf die etablierten medialen Gatekeeper angewiesen.

Trump brauchte keine Intervieweinladungen oder Portraits bei CNN oder der New York Times. Er konnte seine Imageprofilierung ungefiltert über die eigene mediale Infrastruktur transportieren. Ergänzt wurde dies durch eine eigens entwickelte Wahlkampf-App, die in amerikanischen Wahlkämpfen seit 2016 zum Standard-Tool geworden ist. Diese bot den Nutzern ein vielseitiges Programm mit Informationen, Eventkalender, Verbreitung von Inhalten und sogar Gamification-Ansätzen. Durch die häufige Verbreitung von Inhalten und Mobilisierung von weiteren Mitstreitern und App-Nutzern wurden Anwender in ein Belohnungssystem mit Rabatten im Wahlkampfshop oder einem Foto mit Donald Trump eingebunden.

Negative Campaigning

Was im Wahlkampf 2016 noch mit dem Slogan „Crooked Hillary“ und „Lock her up“ („betrügerische Hillary“ und „Sperrt sie ein“) in Verbindung mit der E-Mail-Affäre rund um das Clinton-Team funktioniert hatte, verfing mit dem „Sleepy Joe“-Kampagnenbaustein kaum. Trumps direkte persönliche Attacken gegen Biden wurden von seiner Anhängerschaft nur wenig beachtet und auch die Laptop-Affäre um seinen Sohn Hunter Biden und die ominösen Gas-Deals in der Ukraine hatten weder in der öffentlichen Wahrnehmung noch in der Resonanz der eigenen Anhängerschaft entscheidende Durchschlagskraft. Trumps Alleinstellungsmerkmal ist während seiner Amtszeit das Austrocknen des Sumpfes im Establishment von Washington gewesen. Er repräsentierte die gesamten vier Jahre seiner Präsidentschaft die Inspirations- und Hoffnungsfigur des vergessenen Amerikas und setzte sich stets gegen alle Widerstände, Verleumdungen und Diffamierungen zur Wehr. Die Skandalinszenierungen gegenüber Biden waren jedoch vermutlich eine Zeit- und Energieverschwendung. Diese Energie hätte Trump wirkungsvoller auf das gesamte Establishment verwenden sollen. Biden stand (und steht) stellvertretend für den „Sumpf“ in Washington. Die große Erzählung von Trump, als Underdog und unangepasster Rebell gegen das Establishment anzukämpfen, geriet an einigen Stellen zum Ende des Wahlkampfes leider in den Hintergrund.

Fazit:

Auch wenn Trump ein historisches Ergebnis eingefahren hat, war das von Joe Biden umso „historischer“. Bereits im Vorfeld war klar, dass die Übermacht aus Tech-Konzernen, Big Business und demokratischem Establishment einen Wahlsieg sehr unwahrscheinlich machen würde. Dennoch konnte Trump Stimmen hinzugewinnen und lag bis zuletzt auch in den entscheidenden Swing-States, die selbst nach der Wahl noch über mehrere Tage ausgezählt wurden, am Ende nur um wenige tausend Stimmen zurück. Klar, eine Niederlage bleibt immer eine Niederlage. Aber würde es tatsächlich als Niederlage verstanden werden, wenn ein deutscher Fußballregionalligist gegen den FC Barcelona mit 8:7 verlieren würde? Im konkreten Verständnis einer Niederlage mit Sicherheit, in der Praxis ist es jedoch mindestens ein Achtungserfolg. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es sowohl in den USA als auch in anderen Ländern massive Mobilisierungspotentiale für rechte, konservative und patriotische Parteien und Gruppen gibt, die auf ein bewusstes populistisches Kommunikationskonzept setzen und dieses in Zukunft auch mit einer eigenen programmatischen Substanz auffüllen können. Hier gilt es, sorgfältig hinzuschauen und Zielgruppen, Entwicklungen, Transformationen und Einstellungen genau zu beobachten.

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