Das Gefühl der Welt ist auch in der politischen Kampagnenführung von einschneidner Bedeutung. Programme allein gewinnen keine Wahlen. In einem politischen Markt der ein stetig wachsendes Angebot schafft ist es wichtig neben dem eigenen Programm auch eine große Metaerzählung aufzubauen, die Identifikation und Halt schafft. Wie kann dies unter anderem der AfD gelingen?
Umfragezuwächse von bis zu 10% innerhalb von nur wenigen Wochen: In den alten Bundesländern deuten sich schwere Zeiten für die einstigen Volksparteien an. Annalena Baerbock räumt in den Beliebtheits- und Kanzlerpräferenzrankings alles ab und steckt die Konkurrenz um Armin Laschet und Olaf Scholz locker in die Tasche ohne dafür besonders viel leisten zu müssen.
Ein jeder Konservative und Patriot in diesem Land zeigt sich massiv überrascht von der einmaligen Stärke der Grünen. Was sich bei der Europawahl 2019 durch die Klimadebatte schon andeutete, bekommt wenige Monate vor der Bundestagswahl noch einmal einen ordentlichen Turboschub und könnte die Grünen sogar in das Kanzleramt katapultieren.
Es werden Fragen laut: „Wie kann man die wählen? Die wollen die Abgaben- und Steuerbelastungen massiv nach oben schrauben. Kein normaler Mensch hält diesen Gender-Quatsch und die unbegrenzte Zuwanderung für ein sinnvolles inhaltliches Programm. Und diese Baerbock erst, schwindelt bei ihrem Lebenslauf und blamiert sich in Interviews immer wieder mit ihrer fehlenden politischen Fachkompetenz“.
Und trotz jedem richtigen rationalen Einwand, der in diesen Fragen vorgebracht wird, zeigt sich doch einmal mehr die große konservative Naivität über die Wirkungen von Stimmungen, Erzählungen, Framing, Bildern und Gemütszuständen.
Nein, die Grünen ziehen ihre aktuelle Stärke nicht aus ihrem attraktiven Forderungskatalog oder ihrem Wahlprogramm. Es sind nicht die Inhalte und die Fachkompetenz, die ihnen aktuell 25% in den Umfragen bescheren, sondern ein latentes Lebensgefühl und eine Erzählung, in die die Menschen viele Sehnsüchte, Hoffnungen, Wünsche und Träume hineinprojizieren können.
Der aufmerksamere politische Beobachter und historisch Gebildete weiß, dass diese Hochstimmung für die Grünen keineswegs zufällig aus dem Nichts kommt, sondern Resultat eines umfassenden „Emotional Designs“ ist, welches alle Stränge des moralischen Nervensystems der Gesellschaft durchdringt. Die linken Ideen wurden über Jahrzehnte durch den Zugriff auf entscheidende institutionelle Schaltstellen in die Köpfe der Menschen hineingeschrieben, sodass sogar Konservative zunehmend das moralische Koordinatensystem der Linken übernommen haben und sich dementsprechend anpassen. Das sind alles keine neuen Erkenntnisse für jemanden, der den Begriff „Metapolitik“ schon einmal gehört hat.
Der politische Meinungskampf findet nicht in einem neutralen Raum statt, den die verschiedenen Akteure mit ihren Programmen und Inhalten befüllen, aus denen sich der Wähler schließlich rein rational-verhaltensökonomisch das beste auswählt. Es gibt keine duale Checkliste, die zwischen eigener Lebenssituation und dem besten Programm abgleicht. „Wahlomaten“ und andere Wahlentscheidungshilfen sind viel mehr zu einem netten Zeitvertreib und Spiel geworden, als dass sich die Mehrheit der Wähler davon in ihren Wahlabsichten beeinflussen ließe. Es gibt immer schon eine hegemoniale Deutung unserer Welt, in der die verschiedenen politischen Akteure aus Parteien und zivilgesellschaftlichen Gruppen eine bestimmte Rolle einnehmen, die ihnen meist vom Hegemon zugewiesen wird. Das heißt es gibt immer schon einen politischen und moralischen Raum, den wir bereits vorfinden und die Spielregeln bestimmt. In diesem Rollenspiel geht es nicht um das bessere Steuerkonzept, die Schuldenbremse oder die Haltung zur Inflationspolitik der europäischen Zentralbank. Lebensgefühle, Emotionen, Identifikationsflächen und Abstraktionen schaffen überhaupt erst das Meinungsklima, welches in Wahlen und Umfragen lediglich einen Ausdruck und ein Ergebnis findet, welches sich zuvor bereits als gesellschaftliche Stimmung manifestiert hat.
Das visionäre Angebot
Viele politische Beobachter hatten vorausgesehen, dass nach Merkels Abtritt die programmatische und visionäre Leere der Union allen offenbar wird. Die Leere war 16 Jahre lang allgegenwärtig und konnte letztendlich nur über die permanente politische Sedierung der Gesellschaft kaschiert werden. Jetzt trifft es die CDU jedoch mit voller Wucht und das hinterlassene Vakuum wird aktuell leider von den Grünen am authentischsten aufgefüllt, die zwar inhaltlich nicht besser aufgestellt sind, aber ein visionäres Angebot haben. Es herrscht eine politische Wendestimmung bei den Menschen. Genau dies machen sich zuvorderst die linken Parteien zunutze, die nun ihre große Chance wittern, 16 Jahre CDU-Herrschaft endlich vom Thron zu stoßen. Die Wendestimmung dafür muss gar nicht mit besonderen Inhalten gefüllt werden. Sie ist da und wer es vermag, auf ihr zu reiten, wird politisch dafür belohnt.
Derartige Wendestimmungen waren es auch, die der AfD zwischen den Jahren 2015 – 2017 ihre Höhenflüge in Umfragen und Wahlergebnissen beschert hat. Im gleichen Zeitraum hat sich der Widerstand gegen die Partei und ihr Umfeld verstärkt. Inzwischen ist er gewachsen, hat sich verstetigt und zunehmend radikalisiert. Dies war der Rückstoß des Establishments, in dem sich die Grünen als der schärfste Antagonist zur AfD positionieren. Diese krasse Antihaltung zu den Blauen kann auch ein Erklärungsbaustein für die Stärke der Grünen sein.
In dieser scharfen Polarisierung zwischen AfD und Grünen gibt es nur ein aktuelles Problem für die AfD: Sie kann die Mobilisierung der Grünen aktuell nicht mit einer scharfen Gegenmobilisierung beantworten. Mit der Stärke der Grünen vergrößert sich zugleich die repräsentative Leerstelle innerhalb der gesellschaftlichen Gruppen, die man als Partikularisten, Heimatverbundene, Arbeiter und Wertkonservative beschreiben könnte. Sie differenzieren sich innerhalb der restlichen Parteiblöcke aus und haben dabei die unterschiedlichsten Motive und Absichten. Die einen haben sich als Politikverdrossene und Enttäuschte in die Nichtwählergruppe eingereiht. Die anderen hoffen auf ein konservatives Erwachen in der FDP und CDU und wiederum andere sind klassisch sozialdemokratisch sozialisierte Arbeiter und Angestellte, die eher aus Tradition „ihre“ gute alte Tante wählen, als dass diese sie politisch und inhaltlich noch mitreißen würde.
All diese Gruppen eint keine programmatische Klammer und inhaltliche Identifikation mit ihrer Stammpartei als vielmehr eine Hoffnung, ein Gefühl und ein Stimmungsbild, an welches die AfD bisher nur bedingt anknüpfen kann.
Hier sollte die AfD ihre eigene repräsentative Verortung endlich erkennen und den Konflikt zwischen den Kosmopoliten (Linker Block) und den Partikularisten politisch zuspitzen. Der Kampagnenslogan „Deutschland-Aber normal“ bietet hierfür reichliche Interpretationsmöglichkeiten sowie inhaltliche und emotionalisierende Ressourcen, mit denen die AfD ihre Kontererzählung zur globalistischen Ideologie des 21. Jahrhunderts aufbauen kann.
Wider dem Programmfetischismus
Wahlprogramme gewinnen keine Wahlen. Das mag manchen frustrieren und soll aber keineswegs die wichtige Arbeit in Programmkommissionen und Arbeitsgruppen schmälern. Die Programme bleiben das Herzstück der Parteiidentität. In Wahlkämpfen und Kampagnen spielen sie jedoch nur eine geringe Rolle. Vor allem in der AfD glauben jedoch manche Parteifunktionäre, dass man lediglich das eigene Wahlprogramm stärker verbreiten müsse und die Wählerstimmen würden von alleine zufliegen. Was die AfD vor allem für das jetzige Superwahljahr 2021 braucht, ist eine Erzählung, etwas Mitreißendes, was den Menschen Identifikationsangebote zur Verfügung stellt und ihnen das Gefühl gibt, mit ihrer Wahl den Lauf der Geschichte direkt mit zu beeinflussen.
Die AfD ist die Partei, die dort ist, wo auch die echten Vergessenen unserer Gesellschaft stehen: Menschen, die unser Gemeinwesen durch ehrliche Arbeit, durch die Gründung von Familien am Leben halten und die sich normale Träume vom Eigenheim und einer sicheren Zukunft für ihre Kinder erfüllen wollen. Diese Menschen stehen nicht auf den Minderheitenschutzlisten von Feministen, Gender-Lehrstühlen oder Flüchtlingshilfsvereinen. Es sind nicht die Menschen, die sich als Weltbürger im großen globalen Dorf sehen. Sie haben eine Heimat, mit der sie sich identifizieren und die ihnen Halt und Orientierung verschafft. Es sind Menschen, die das Leben genügsam aber fleißig angehen und von Regulierungswahn des Staates in Ruhe gelassen werden möchten. Menschen die für sich und ihre Familien selbst sorgen wollen und können. FÜR ALLE DIESE MENSCHEN KÄMPFT DIE AFD!