AfD vor dem Bundesparteitag:
Aufbruch oder Stagnation?

Viele in der AfD blicken jetzt gespannt auf den kommenden Bundesparteitag in Wiesbaden. In die Partei nach der Bundestagswahl etwas Ruhe eingekehrt, die teilweise jedoch auch den Eindruck von Selbstzufriedenheit und arrangieren mit der Stagnation erkennen lässt. Zeit für einen neuen Aufbruch und die Vision einer rechtskonservativen Kraft in Deutschland, die echten Wandel will. Wir skizzieren nachfolgend einige Impulse.

Anderthalb Monate nach der Bundestagswahl und einen Monat vor dem AfD-Bundesparteitag in Wiesbaden ist rund um die AfD eine bemerkenswerte Stille eingetreten. In den letzten Wochen haben sich drei Fraktionen in MV, Berlin und im Bundestag konstituiert. Bis auf den Zwischenfall in der Causa »Matthias Helferich« lief der Konstitutionsprozess relativ geräuschlos ab. Die von manchen Beobachtern erwartete Austrittswelle und der große Mandatsklau blieb aus, auch wenn nicht ausgeschlossen ist, dass es hier in den kommenden Wochen nochmal Entwicklungen und Verschiebungen geben könnte. Die Konzentration auf die reibungslose Konstituierung der Fraktionen und die Mehrheitsorganisation für den kommenden Parteitag lassen wie schon so oft in diesem Jahr, die AfD den Blick auf die tagesaktuellen politischen Spielfelder verlieren. An Europas Außengrenzen zeichnet sich wieder einmal eine größere Migrationskrise ab, deren Dimension in einer ähnlichen Größenordnung wie jene von 2015 stehen könnte. Einzelne Verbände wie in Brandenburg bemühen sich, hierbei politische Akzente zu setzen und veranstalten Kundgebungen und Demonstration in der unmittelbaren polnischen Grenzregion. Doch für eine bundesweite größere Kampagne fehlt es aktuell wohl an Abstimmung, Organisationskraft, Projektmanagement und möglicherweise auch an Motivation. Die Selbstgenügsamkeit dominiert aktuell die Atmosphäre bei vielen Funktions- und Mandatsträgern. Die Partei wirkt lustlos und ermüdet in diesen Wochen.

Vieles in der AfD schwebt aktuell noch im Ungewissen. Hinsichtlich der Neuwahl des Bundesvorstandes gibt es zwar bereits einige Namen die als gesetzt gelten, die aber selbst noch nicht offen ihre Kandidatur verkündet haben. Einer wird in jedem Fall nicht mehr im kommenden AfD-Bundesvorstand vertreten sein. Der bis dato längste Parteivorsitzende in der recht jungen Geschichte der Partei, Prof. Dr. Jörg Meuthen, kündigte bereits wenige Wochen nach der Bundestagswahl seinen Rückzug aus der ersten Reihe an. Vielleicht ist es auch das, was zumindest auf Blick des kommenden Bundesparteitages etwas mehr innerparteiliche Ruhe gebracht hat. Wir wollen an dieser Stelle kein unnötiges „Meuthen-Bashing“ betreiben und der Mann dürfte in den letzten sechs Jahren so manche Kämpfe in der Partei geführt haben, die durchaus an die physische als auch psychische Substanz gingen. Manch einer hätte diesen Job wohlmöglich keinen Vormittag durchstehen können.

Trotz des Verhaltens der letzten zwei Jahre muss man anerkennen, dass Meuthen durchaus ein Parteivorsitzender war, der von 2015 – 2018 um einigende Balance in der AfD bemüht gewesen ist und bereit war, Konflikte durch Dialog zu lösen. Letzteres ist ihm jedoch offensichtlich etwas entglitten.

Insbesondere in seiner Kalkar-Rede, über die selbst seine Fürsprecher die Deplatzierung auf einem Sozialprogrammparteitag anmerkten, konnte man heraushören, dass dieser Mann sich in eine Obsession verrannt hatte und sich bereitwillig als Kronzeuge für das mediale Establishment zur Verfügung stellen würde. Mit Befremden konnte man anschließend nur noch ein völlig verkorkstes Sommerinterview im ZDF und die Mitwirkung in Fernsehdokumentationen wahrnehmen, die mal wieder die alte Schallplatte vor den zunehmenden Radikalisierungstendenzen innerhalb der AfD auflegten und Meuthen sich selbst in der Rolle als Warner und „bürgerlicher Widerstandskämpfer“ gefiel. Zwei Tage vor der Wahl äußerte Meuthen schließlich gegenüber den Medien, dass er nicht von einem signifikanten Zuwachs der Stimmen ausgeht, da die eigene Kampagne primär zuvorderst die eigene Blase bediene. Unabhängig davon, dass ein Parteivorsitzender zwei Tage vor der Wahl sich zu solchen destruktiven Aussagen hinreißen lässt, muss man hier jedoch die deutliche Frage stellen, ob Professor Meuthen nicht in die Kampagnenplanung eingebunden war. War er bei den Pitches zu den Plakatdesigns, der Sloganpräsentation und während des gesamten Planungsprozesses nicht involviert? Das dürfte schwer vorstellbar sein und es zeigt vor allem für die letzte Bundestagswahlkampagne die Verantwortungsdiffusion und das fehlende Projektmanagement in der AfD-Bundeszentrale, aus deren Zuständigkeiten wohl auch ein Jörg Meuthen sich nur schwerlich entziehen konnte.

Unterstellt man Meuthen tatsächlich die besten Absichten, nämlich dass er die AfD lediglich vor dem Abgleiten ins politische Ghetto zu bewahren versuchte und die gläsernen Decken von 10-12% Wählerzustimmung durchbrechen wollte, dann muss man sich doch zumindest die Frage stellen welches visionäre und inhaltliche Alternativangebot an die Mitgliederbasis tatsächlich gemacht wurde. Vielfach gewann man den Eindruck, dass man stets versuchte, unterschiedlichste Konflikte und Brandherde innerhalb der Partei lediglich mit Ordnungsmaßnahmen zu bekämpfen. Konkrete strategische Vorgaben, aktivierendes und mobilisierendes Kampagnenmanagement und inhaltlich-programmatische Impulse war jedoch nur selten zu vernehmen. Die Probleme innerhalb der AfD sind nämlich nicht durch unterschiedliche Flügel und Lager dominiert, sondern vor allem durch ein fehlendes visionäres Angebot und Mangel an strategischen Richtungsvorgaben. Hier hatten auch Meuthen und Co wenig anzubieten.

Die AfD ist jetzt in die Phase eingetreten, in der sie ihre Stärkung und Optimierung nicht mehr nur aus ihrer reinen Mobilisierungskraft der Jahre 2015-2017 zieht. Sie steht nun vor der Herausforderung, wie sie programmatische Akzente ohne Agenda-Setting durch die Mainstream-Medien setzen kann. Sie muss strukturelle und strategische Weichen legen, die Substanz schaffen, die über die parlamentarische Stärke hinausgeht. Das bedeutet auch den ewigen Konflikt zwischen den Vertretern, die die AfD in der Rolle einer reinen Parlamentspartei sehen und jenen, die den Bewegungscharakter erhalten wollen, zu einer effektiven Symbiose zu formen.

Herausforderungen vor denen der kommende AfD-Bundesvorstand steht

In einem Artikel vor wenigen Wochen haben wir bereits einige strategische Herausforderungen für die AfD skizziert. Möglicherweise verknüpfen sich diese Leitfragen für die Partei auch in ihrer künftigen personellen Ausrichtung im kommenden Bundesvorstand.  

1. Lagerübergreifende Repräsentation und die Bereitschaft, Dissens und Konflikte durch produktiven Austausch und sachlich-inhaltliche Orientierungen zu klären. Die Partei benötigt jetzt nicht die besten Medienfiguren und Rhetoriker, sondern Moderatoren, Visionäre, Strategen und inhaltlich-programmatische Impulsgeber. Die Mitglieder brauchen Orientierung und Navigatoren auf den Landkarten einer echten alternativen Politik für Deutschland.

2. Visionäre Vorstellung einer „AfD 2025“

Ein früheres Strategiepapier mit einem ähnlichen Titel sollte entsprechend auf die Zwischenziele evaluiert und an die neuen zeitlichen Bedingungen angepasst werden. Der künftige Bundesvorstand sollte eine klare Vorstellung von einer politischen Roadmap über Nah- und Fernziele der AfD bis zur kommenden Bundestagswahl 2025 haben. Der Parteitag im Dezember braucht keinen Showdown der sich gegenüberstehenden Lager, sondern ein Signal der Stabilität und des Aufbruchs – eingebettet in einer klaren Rollenbestimmung der AfD für die kommenden 5-10 Jahren.

3.Strategie Ost

2024 hat die AfD erstmals die Chance, in Sachsen deutlich stärkste Kraft zu werden und in Thüringen und Brandenburg die eigenen Ergebnisse nochmals zu verbessern und Blockparteienregierungsbildungen damit zu erschweren. Um der AfD hier auch tatsächliche Gestaltungsmöglichkeiten auf Landesebene zu eröffnen, braucht es jetzt klare Zeitpläne und Ideen, um in diesen Regionen auch strukturell noch stärker aufzutreten. Hier geht es nicht um die Bedeutung der östlichen Bundesländer für die Gesamtdemoskopie, sondern um die erstmalige Möglichkeit, Blockaden und Barrieren zwingend aufzulösen und damit auch bundesweit politische Signale zu setzen. Wenn die AfD im Osten die ersten Bürgermeister und Landräte stellt und Regierungsbildungen ohne ihre Einbindung immer schwieriger werden, so ist das von der rein politischen Strahlkraft entscheidender und relevanter, als ein Zugewinn von 3-4% bei einer Landtagswahl in Bayern, NRW oder Niedersachsen. Eine Strategie für Ostdeutschland soll kein selbstbezüglicher Regionalismus sein oder zu Sezessionsbestrebungen appellieren. Die Fokussierung auf spezifische Herausforderungen für den Osten soll der Gesamtpartei zum Vorteil gereichen.

4.Partei weiterdenken – Neue Horizonte und politisches Vorfeld

Die AfD ist ein historisch einmaliges Parteiprojekt in der Bundesrepublik. Ihr Wirken ist jedoch nicht nur die Korrektur eines fehlgeleiteten CDU-Kurses unter der Kanzlerschaft Merkels, sondern die grundsätzliche Infragestellung einer Politik der Identitätsverleugnung und Selbstabschaffung unseres Volkes im Schmelztiegel einer multikulturellen Gesellschaft. Sie ist die Antithese zur Dominanz der 68er-Republik und auch Ausdruck einer internationalen Gegenbewegung gegen die Globalisierung und für die partikularen Gemeinschaften von Nationalstaat, Volk, Kultur und Heimat. Sie steht für Selbstbestimmung, Souveränität, Eigenverantwortung und Solidarität im Rahmen der konkreten identitären Bezugsräume. Sie verteidigt das Eigene gegen den Nihilismus und die Auflösung der natürlichen Ordnungsstrukturen unserer Gesellschaft. In Zeiten von Black Lives Matter, Fridays for Future und vielen anderen linken Radikalisierungen kann man nicht mehr davon ausgehen, dass wir uns in einem neutralen demokratischen Debattenraum befinden. Die linken Bewegungsdynamiken finden innerhalb eines Kulturkampfes statt, den die rechten, patriotisch-konservativen Kräfte endlich aufnehmen müssen.

Diese Prinzipien bilden nicht unbedingt ein parteipolitisches Programm ab, sollten aber im Bewusstsein der Führungsfiguren und Funktionsträger verankert sein. Die AfD ist und bleibt eine Partei und muss sich auch in die Mechanismen des Parteienwettbewerbs einfügen. Doch sie muss zugleich erkennen, dass politische Gestaltungsoptionen in einer Demokratie neben den Parlamenten auch noch über Medien, den Kulturbetrieb, Bildungsinstitutionen, Bürgerbewegungen und Protesten verlaufen. Die beiden Ansätze der Bewegungspartei und der Parlamentspartei müssen keine sich ausschließenden Gegensätze sein, sondern können sich symbiotisch ergänzen.

5. Jung, frech, modern, professionell

Seit nunmehr zwei Jahren wird die AfD aus den medialen Diskursen mehr oder weniger offensichtlich isoliert. Konzepte für eine echte professionelle mediale Gegenöffentlichkeit gibt es bisher nur wenige. Man verlässt sich auf die Stärke seiner zentralen Kommunikationskanäle, die derweil jedoch auch an ihr Reichweitenlimit stoßen. Der Aufbau einer eigenen attraktiven und mobilisierenden Gegenöffentlichkeit erfordert neben der Schaffung eines strukturellen Fundaments auch eine habituelle Einstellung, die Offenheit für die Jugend und einen modernen und dynamischen Konservatismus demonstriert. Dies muss sich mittelfristig auch in der personellen Zusammensetzung des neuen Bundesvorstandes zeigen. Es wäre wünschenswert, wenn die Partei hier auch Kandidaten berücksichtigt, die die Jugend repräsentieren und bereit sind, künftig auch die Junge Alternative konzeptionell, strategisch und programmatisch stärker einzubeziehen.

Personalien.

Die Neuwahlen des Bundesvorstandes im Dezember werden zeigen, wie viel Erneuerungskraft und Aufbruchsgeist die Partei aufbringen kann, um daraus ableitend sich strategisch neu zu konstituieren, inhaltlich professionell zu arbeiten und auch die Mitgliederbasis zu motivieren. Viel wird dabei auch von der personellen Struktur im Bundesvorstand abhängen.

Vorstand:

Wie schon bei der Frage um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl mehren sich die Stimmen in der Partei, die fordern, das Zweisprechermodell abzuschaffen und klare Verantwortlichkeiten auf einen Bundessprecher zu komprimieren. Organisatorisch und auch PR-strategisch mag es für ein Einsprechermodell gute Gründe geben. Doch jener Sprecher bräuchte auch die Kraft und die Ausdauer, die unterschiedlichen Lager zu einen und müsste dafür auch die entsprechende Führungsstärke und Sensibilität aufbringen. Ob Chrupalla dies im Alleingang könnte, kann als offene Frage stehen bleiben. Fakt ist jedoch, dass er parteiintern zwar stabile Mehrheiten hinter sich hat, aber ebenfalls einem liberalkonservativen Flügel gegenübersteht, der ihn seit einiger Zeit auch versucht zu beschädigen und der sich durch Chrupalla allein nicht repräsentiert fühlen würde. Für eine möglichst breite Repräsentation der Gesamtpartei wird Chrupalla auf einen Co-Sprecher zurückgreifen müssen, über den sich auch die Einigkeit der Partei zwischen Ost und West herstellen lässt.

In Medien als auch parteiintern sind bereits Peter Boehringer (Spitzenkandidat zur Bundestagswahl in Bayern) sowie Rüdiger Lucassen (NRW-Landesvorsitzender) im Gespräch. Beide dürften dabei eine gute Wahl für die möglichst breite Repräsentation in der Partei sein. In ihren Landesverbänden haben beide sichere Mehrheiten bei den Wahlen und besitzen zugleich die Fähigkeit, Konflikte konstruktiv und sachlich auszutragen. Lucassen lud bspw. nach dem hitzigen Parteitag in Kalkar den Thüringer Landessprecher Björn Höcke nach NRW zu einer Diskussionsveranstaltung ein, um damit auch zu demonstrieren, dass offensichtlicher Streit und Dissens in der Partei auch über andere Formate geregelt werden und- wenn schon nicht vermieden, so doch kultiviert werden kann. Allerding gilt Lucassen als Verfechter des Einsprechermodells und dürfte sich angesichts der wichtigen NRW-Landtagswahl 2022 eher auf den Wahlkampf im eigenen Bundesland konzentrieren. Boehringer gilt als ruhiger und sachlicher Ausgleichskandidat, der über die Lagergrenzen hinaus große Beliebtheit erfährt und sich ein beachtliches fachpolitisches Kompetenzprofil erarbeitet hat. Ob er jedoch auch die zwischenmenschlichen Moderations- und Führungsfähigkeiten aufbringt, wird sich noch zeigen. Tatsache bleibt jedoch, dass sowohl Lucassen und Boehringer aktuell als die aussichtsreichsten Kandidaten an der Seite von Chrupalla gehandelt werden.

Ein weiterer Kandidat, der sich möglicherweise erneut wie 2019 ins Spiel bringen könnte, ist der Berliner Bundestagsabgeordnete und begnadete Rhetoriker Gottfried Curio. Er mag aufgrund seiner Auftritte am Rednerpult des Reichstages und Kultstatus, nach wie vor an der Basis beliebt sein. Der Bundesvorstand braucht jedoch nicht zwangsläufig die besten Redner, sondern wie oben schon beschrieben, Führungskräfte, Moderatoren, Visionäre und strategische Leitfiguren. Somit mag Curio durchaus nochmal ein Überraschungskandidat sein, wird sich aber im Falle eines Antritts von Boehringer oder Lucassen nur schwerlich durchsetzen können.

Kandidaten an der Seite von Chrupalla?

Stellvertretende Sprecher

Während die Sprecherposition für Chrupalla als gesetzt gilt und auch die Co-Sprecherposten ein eher übersichtliches Kandidatenfeld haben werden, dürften die Posten um die zu wählenden Stellvertreter deutlich umkämpfter und vor allem uneindeutiger sein. Bei den Vorsitzenden ist zumindest die Klarheit da, dass Jörg Meuthen nicht mehr antreten wird. Die aktuellen drei stellvertretenden Bundessprecher Weidel, Storch und Brandner könnten jedoch alle erneut antreten und haben bisher auch nichts Gegenteiliges verlauten lassen. Ein paar alternative Namen in dieser Position würden jedoch durchaus gewisse Erneuerungskräfte freilegen und den reinen Verwaltungsmodus des Bundesvorstandes überwinden.

Eine entscheidende Rolle in diesem Erneuerungsprozess würde vermutlich eine Personalie wie Maximilian Krah spielen. Der sächsische Europaabgeordnete gilt als einer der stärksten intellektuellen Impulsgeber und Rhetoriker in der Partei. Wer Krahs Auftritte verfolgt, weiß darum, dass dieser Mann echte politische Visionen hat und auch charakterlich eine angenehm integrierende Art mit sich bringt. Als äußerst belesener Mensch hat er bereits in vielen Auftritten seine Qualitäten unter Beweis gestellt, die in dieser Rolle im Bundesvorstand von außerordentlicher Relevanz wären. Krah wäre der intellektuelle Substanzbilder und würde zugleich auch seinen Beitrag zur angemessenen Repräsentation der Ostverbände leisten. Krah wäre eine echte Belebung in einem kommenden Bundesvorstand.

Ein weiterer Name, der vielleicht neu hinzukommen könnte, ist der rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier. Als recht junger Bundestagsabgeordneter versteht er auch in seiner Öffentlichkeitsarbeit sehr gut, wie junge Menschen angesprochen werden und zeichnet sich auch durch sein Verständnis und seine Offenheit gegenüber vorpolitischen Akteuren und der Jungen Alternative aus. Wie schon erwähnt, wird sich der kommende Bundesvorstand neben einem guten Parteimanagement und erfolgreichen Wahlkämpfen auch am Verständnis für die Notwendigkeit robuster medialer und strategischer Strukturen messen lassen. Kandidaten wie Krah und Münzenmaier könnten hierbei durchaus ihren Beitrag leisten und sollten dann auch in der Vorstandshierachie mit den stellvertretenden Sprecherpositionen berücksichtigt werden.

Ob sich von den alten stellvertretenden Sprechern nochmals jemand durchsetzen wird, ist ungewiss. Die besten Chancen dürfte aber die Berlinerin Beatrix von Storch haben. Sie ist zwar nicht überall sonderlich beliebt, aber kann dennoch auf eines der stärksten Netzwerke innerhalb der Partei zurückgreifen. Für Alice Weidel und Stephan Brandner ist die Lage noch ungewiss. Zumindest Weidel wirkte über die letzten Jahre doch ziemlich entkräftet und führungsschwach. Inmitten des Bundestagswahlkampfes blieb sie mehrere Wochen abgetaucht und setzte erst auf den letzten Metern echte Akzente. Das Zugpferd im Wahlkampf des Spitzenduos blieb eindeutig Chrupalla. Weidel mag eines der bekanntesten Gesichter in der AfD sein und ist auch bei medialen Auftritten immer noch außerordentlich aktiv und souverän. In der Führung und Moderation der Partei scheint sie jedoch nicht mehr allzu viel Energie investieren zu wollen.

Die Wahl Stephan Brandners dürfte für viele eine Geschmacksfrage darstellen. Für die einen ist er der einfach gestrickte „Prototyp-Boomer“ für die anderen aber der basisnahe Sympathieträger. Möglicherweise ergeben sich für ihn Chancen in einer Beisitzerposition.

Zwei neue Gesichter für die stellvertretenden Sprecher?

Das Feld der Beisitzer

Noch mehr Konkurrenzkampf könnte im Feld der Beisitzer folgen. Hier wird besonders interessant, wer sich nochmal als Kandidat aufstellen wird. Namen wie Joachim Kuhs, Sylvia Limmer, Jochen Haug, Christian Waldheim oder Dr. Alexander Wolf blieben innerhalb des amtierenden Bundesvorstandes recht unscheinbar. Sie waren zwar sichere Mehrheitsbeschaffer für die 2/3 Dominanz im Bundesvorstand zugunsten von Jörg Meuthen. Für die Mitgliederbasis haben sie sich aber kaum ein eigenes Profil aufgebaut und hier auch nicht wirklich mit starken Impulsen geglänzt. Die bekanntesten Gesichter auf den Beisitzerposten waren die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, die sich auf dem Parteitag in Kalkar knapp gegen Maximilian Krah durchsetzen konnte und der rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete Joachim Paul, der auch dem Meuthen Lager zugerechnet wird, aber im Gegensatz zu Jörg Meuthen auch Konflikte sachlich und argumentationsstark ausdiskutiert und eigene Ideen und strategische Wege skizzieren kann. Paul bemühte sich immer, den Meuthen-Kurs auch in der Öffentlichkeit zu verteidigen. Ob er sich stellenweise hinsichtlich Stil und Form einen Gefallen getan hat, müssen andere beurteilen. Er hat jedenfalls seine Qualitäten und wird für sich selbst entscheiden müssen, welche Rolle er künftig in der Partei einnehmen will.

Auch wenn die Beisitzerpositionen in der Hierarchie als weniger wichtig angesehen werden, so ergeben sich hieraus dennoch die entscheidenden Mehrheitsverhältnisse bei Abstimmungen. Auch die Aufteilung unterschiedlicher Ressortzuständigkeiten können hierbei nochmal von Gewicht sein. Insofern lohnt sich auch hier ein Blick auf mögliche neue Akteure zu werfen, die im alten Bundesvorstand bisher nicht vertreten waren. Die Kandidatenwahl muss nach den Kriterien Alter, qualitative Fähigkeiten und Führungskompetenz getroffen werden.

Roger Beckamp:

Der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete zeichnete sich in seiner medialen Eigenvermarktung immer als witziger und charmanter Politiker aus und weiß um die Notwendigkeiten des Aufbaus eigener medialer Strukturen. Auch Beckamp gehört ähnlich wie Krah zu jenen Leuten in der Partei, die durch eloquentes Auftreten und den Willen zur politischen Gestaltung durchaus auch stärker in einer Position im Bundesvorstand als intellektuelle Impulsgeber auftreten könnten. Zusätzlich repräsentieren Kandidaten wie Beckamp auch genau den Charaktertypus, der sich jetzt in der Führung widerspiegeln muss und der sich keinem konkreten Lager zurechnet und in der Lage ist, die zentralen Zukunftsfragen der Partei abseits von Flügelkämpfen und ideologischen Bunkern zu beantworten.

Dennis Hohloch:

Nach dem Wegfall von Andreas Kalbitz übernahm der junge Abgeordnete Dennis Hohloch zeitweise die Führung der Fraktion und betätigt sich nun im Amt des parlamentarischen Geschäftsführers, wo es auch sein Verdienst zu sein scheint, dass die AfD-Brandenburg-Fraktion trotz vieler Angriffe von außen immer stets gut zusammengehalten werden konnte und sich auch fachlich und medial qualitativ von manch anderen AfD-Fraktionen in den Landtagen deutlich abhebt. Er könnte vor allem auch für die habituelle Verjüngung des Bundesvorstandes eine wichtige Rolle spielen. Sowohl vom intellektuellen Format und der fachpolitischen Kompetenz her wäre er ein Kandidat der nicht nur jung ist, sondern auch andere Qualitäten mitbringt.

Petr Bystron:

Wie kaum ein anderer in der AfD war es der bayrische Bundestagsabgeordnete Petr Bystron, der als Obmann des Auswärtigen Ausschusses für die AfD-Fraktion verstanden hat, dass die AfD mehr ist, als nur ein nationales Phänomen, sondern zugleich auf internationale Partner anderer Rechtsparteien angewiesen ist. Bystron hat hierbei Türen geöffnet und pflegt nach wie vor enge Kontakte zu natürlichen Verbündeten im westlichen und europäischen Ausland für die AfD. Aus dieser Vernetzungsarbeit ist unter anderem auch ein lesenswertes Buch unter dem Titel „Make Europe Great Again“ entstanden, in dem er Aufstiege vieler europäischer Rechtsparteien und ihrer personellen Akteure beleuchtet. Als Mitorganisator der alljährlichen „Konferenz der freien Medien“ versteht Bystron ebenfalls die Notwendigkeit von medialen Verbündeten im eigenen Lager und den Aufbau einer strukturstarken Gegenöffentlichkeit.

Dr. Kirstin Brinker:

Als frisch gewählte Landesvorsitzende hatte Brinker im Landesverband Berlin manche schwierige Aufgaben zu lösen. Innere Konflikte sowohl in Fraktion als auch Landespartei moderieren und zugleich einen besonders schweren Wahlkampf im linken Moloch der Bundeshauptstadt organisieren. Das Berliner Ergebnis zur Abgeordnetenhauswahl kann für die Partei keineswegs zufriedenstellend sein. Doch Brinker als Spitzenkandidatin hierfür verantwortlich zu machen, wäre doch eine stark verkürzte Erklärung für das schlechte Abschneiden. Sie selbst hatte in der kurzen Zeit schnell ihre Rolle gefunden und war beständig medial mit einer sympathischen und eloquenten Ausstrahlung präsent. Als weibliches Gesicht mit angenehmer Ausstrahlung und bewiesenen Führungskompetenzen in der Berliner Abgeordentenhausfraktion und im Landesverband könnte sie jedenfalls auch eine Bereicherung für den kommenden Bundesvorstand sein.

Der große Elefant im Raum: Björn Höcke

Wird er antreten oder nicht? Bisweilen hielt sich der Thüringer Landesvorsitzende eine Kandidatur für den Bundesvorstand immer offen und deutete seine Ambitionen bereits mehrfach an. Rund um den Ex-Flügel würden sich natürlich viele eine Kandidatur wünschen und haben auch bereits mehrfach öffentlich appelliert, dass Björn Höcke in den Bundesvorstand solle. Die Frage ist jetzt bei dem kommenden Bundesparteitag jedoch nicht, ob Höcke bereit wäre, sondern ob die Partei es ist. Manche wollen sich nicht mehr mit Kompromissvorständen zufriedengeben – was übrigens für beide Lager gilt – und fordern jetzt deutliche Signale einer Einheit, die sich auch im Vorstand widerspiegelt und die Beendigung des bisherigen Modells, wo Entscheidungen im Bundesvorstand meist nur verlagerte Flügelkämpfe waren und Bündnisse und Positionen flexibel gewechselt sind, sofern man sich innerhalb des Machtkampfes einen Vorteil erhoffte. Doch ein Bundesvorstand, der Einheit und Geschlossenheit ausstrahlen möchte, sollte dies nicht in Form deutlicher Übergewichte des einen oder anderen Lagers repräsentieren, sondern in Akteuren, die als lagerübergreifend gelten können und die in der Lage sind, Konflikte und strategische Fragestellungen sachlich-inhaltlich auszutragen. Die Erkenntnis muss fruchten, dass die unterschiedlichen Strömungen in der AfD erst in ihrer Synthese den Charakter dieser Partei ausmachen. Die Chancen eines Björn Höckes werden daher auch maßgeblich von den Dynamiken des Parteitags selbst abhängig sein.

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